In der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft sind wissenschaftlich fundierte Studien zu Native Americans eher dünn gesät. Eine Ausnahme stellt die jüngste Studie des Schweizer Historikers Aram Mattioli dar. Mit Zeiten der Auflehnung liefert der Neuzeithistoriker eine kenntnisreiche Studie zur Geschichte der nordamerikanischen Ureinwohner im 20. Jahrhundert. Inhaltlich und thematisch schliesst er hierbei an sein 2017 erschienenes Buch Verlorene Welten an, indem er eine Gegengeschichte aus Sicht indigener Akteure entwirft.
In Zeiten der Auflehnung folgt der Autor dem modernen Ansatz der «Ethnohistory» oder «New Indian History». Anstatt Indigene als macht- und willenlose Opfer kolonialer Fremdbestimmung zu sehen, verfolgt Aram Mattioli einen «Agency»-basierten Ansatz. Dieser priorisiert indigene Perspektiven und Stimmen und legt grossen Wert auf Egodokumente (Interviews, Reden, Memoiren, Filme, Songtexte, etc.), um gerade die unterschiedlichen kulturellen Perspektiven dieser marginalisierten Minderheit besser reflektieren zu können. Trotz der erheblichen Fremdbestimmung durch das Bureau of Indian Affairs – der quasi-Kolonialbehörde, die das Leben der Indigenen auf Reservationen regelte, und die US-Bundespolitik in Form seiner Assimilierungspolitik umsetzte –, waren Indigene im 20. Jahrhundert auch selbstbestimmte Akteure ihres eigenen Schicksals. Augenfällig wird diese «Agency» insbesondere bei Protest- und Widerstandsaktionen. Diese lassen sich als Teil eines Jahrhunderte währenden indigenen Widerstandes gegen Eroberung, Vertreibung, und koloniale Unterdrückung, Ausbeutung und Kontrolle ihrer Lebensgrundlage, Kultur, Regierung und Ressourcen verstehen.
In der Einleitung liefert der Autor eine breite Kontextualisierung des indigenen Amerikas zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Indigene Akteure des 20. Jahrhunderts haben sich selbst stets als Teil eines Jahrhunderte andauernden Widerstandes gegen Siedlungskolonialismus verstanden, um den Fortbestand der eigenen Kultur und Gemeinschaften bis heute zu sichern. Dieser indigene Widerstand wurde einst mit Waffen und Diplomatie ausgefochten. Seit Ende des Zweiten Weltkrieges verwendeten indigene Aktivisten auch Lobbyarbeit, zivilen Ungehorsam, und seit dem Ende der 1950er/1960er Jahre zunehmend medienwirksame Formen des gewaltlosen Widerstandes wie Demonstrationen, Boykotte, Besetzungen, etc. In den 1970er Jahren kam es schliesslich zu vereinzelten bewaffneten Auseinandersetzungen.
Ein wesentliches Merkmal dieser indigenen Akteure war und ist ihre kulturelle Hybridität. Indigene leben nicht nur auf Reservationen (bzw. internen Kolonien), sondern – infolge der Urbanisierung nach 1945 und einer jahrelang forcierten Assimilierungspolitik – zunehmend auch in urbanen Ballungszentren. Sie sind komplex situiert zwischen ihrer tribal nation/homeland, ihrer eigenen Kultur, sowie der weissen Mehrheitsgesellschaft. Bei allen Minderheiten in den USA regeln Bürgerrechte (civil rights) das Verhältnis zwischen Bürger und Staat. Bis 1871 schlossen Stämme (tribal nations) mit den USA Verträge und wurden somit de facto als unabhängige Nationen anerkannt; Vertragsrechte (treaty rights) bestimmen somit zusätzlich den Status der indigenen Ureinwohner. Hierbei spielen Fragen von Souveränität und Selbstbestimmung zentrale Rollen. Im Fokus der Darstellung Mattiolis steht «eine exemplarische Auswahl an indigenen Protest- und Widerstandsaktionen, getragen von selbstbewussten Männern und Frauen, die ein hohes Mass an Kreativität an den Tag legten, als es galt, anzuprangern und ihren fremdgesteuerten Nationen kleine Freiräume zu erkämpfen» (S. 23). Das erklärte Ziel indigenen Widerstandes waren bessere Lebensbedingungen, kulturelle Bewahrung, und politische Selbstbestimmung.
In Kapitel 2 skizziert der Autor zunächst den politischen und sozialen Status quo der Indigenous People(s) und ihre katastrophalen Lebensbedingungen um die Jahrhundertwende. Native Americans standen in einem direkten Abhängigkeitsverhältnis von der Bundesregierung (guardian-warden relationship) und waren oftmals der Willkür von schier übermächtigen Bürokraten (reservation agents) ausgesetzt. Sie waren ihres Landes, ihrer ökonomischen Unabhängigkeit, ihrer Sozialorganisation und ihrer traditionellen Lebensweise beraubt und führten eine Schattenexistenz neben der weissen Mehrheitsgesellschaft. Anschaulich skizziert Mattioli hier die «Kümmerexistenz» (S. 31) der «militärisch unterworfene[n], kolonial fremdbestimmte[n], und wirtschaftlich abhängige[n] Stämme»(S. 31) und das zugrundeliegende interne Kolonialsystem. Eingegangen wird hier insbesondere auf die verschiedenen Politiken der Zwangsassimilierung wie beispielsweise das Verbot kultureller Praktiken (Code of Indian Offenses, 1883); das System von Internatsschulen (Boarding Schools), die systematisch versuchten, indigene Schüler/innen ihrem Herrschaftsmilieu zu entfremden; sowie der Versuch, Gemeinschaftsland in Privateigentum zu überführen und Stämme obsolet zu machen (Dawes Act, 1887).
Kapitel 3 thematisiert die koloniale Fremdbestimmung der ersten drei Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts und zeigt die Wurzeln des modernen indigenen Aktivismus auf. 1924 erhielten Native Americans das amerikanische Bürgerrecht (Indian Citizenship Act) – ein Akt, dem viele von ihnen skeptisch gegenüberstanden, weil sie fürchteten, dass die ungewollte Staatsbürgerschaft ihre Vertragsrechte unterminieren würde. Einen Grossteil des Kapitels widmet Mattioli dem Indian New Deal, der unter John Collier, dem Commissioner of the Bureau of Indian Affairs, ins Leben gerufen wurde. Das Kernstück dieses Vorhabens war der Indian Reorganization Act (1934), der die bisherige Landenteignung (Dawes Act) unterband und kulturellen Pluralismus förderte. Mattioli zeigt hier, wie Regierungspaternalismus – der Plan, die Viehbestände der Navajo zu reduzieren, um angeblich Überweidung und Bodenerosion zu verhindern – zu einer verhängnisvollen Politik (Navajo Livestock Reduction) führte, die die Schaf- und Ziegenherden der Navajo vernichtete, ihren Einkommens- und Lebensunterhalt ruinierte und ihre eigenen kulturellen Werte untergrub. Der Widerstand der Navajo gegen das Reduzierungsprogramm blieb allerdings erfolglos, weil dieser nicht die breite amerikanische Öffentlichkeit erreichte und ab 1941 durch den Kriegseintritt der USA in den Hintergrund geriet.
In Kapitel 4 adressiert Mattioli den sich herausbildenden indigenen Widerstand in der Frühphase des Kalten Krieges. In diesem Kontext und dem eines wachsenden Antikommunismus machen Vorstellungen von kulturellem Pluralismus denen einer erneuten Assimilierungspolitik Platz. Diese sogenannte Terminationspolitik (termination policy) wird von Mattioli anfangs kurz skizziert, um sie in der zweiten Kapitelhälfte eingehend zu beleuchten. Das Hauptaugenmerk des ersten Teils des Kapitels bleibt der Kontext des Kalten Krieges, des Uranbooms, sowie des Urankolonialismus (uranium colonialism). Oftmals richteten Bergbaukonzerne und die Armee auf Reservationen durch Uranabbau und Atombombentests erhebliche Umweltschäden an und setzen indigene Bewohner und Arbeiter der Radioaktivität aus, was zu schweren Gesundheitsschäden und Erkrankungen führte. In der zweiten Kapitelhälfte wird näher auf die Terminierungspolitik eingegangen, um die wachsende indigene Protestbewegung besser zu kontextualisieren. Die Terminationspolitik bestand im Kern aus mehreren Pfeilern: erstens der Kompensationspolitik (compensation durch die Indian Claims Commission, 1947), um ausstehende Land- und Vertragsrechte zu lösen; zweitens Terminierungspolitik, d. h. der Zerschlagung von Stammesstrukturen (termination basierend auf House Concurrent Resolution 108, 1953) sowie die Umsiedlung der Stammesmitglieder in die grossen Städte (relocation). Der indigene Widerstand gegen diese Assimilierungspolitik speiste sich aus drei Strömungen: erstens den Traditionalisten, die die eigene kulturelle Integrität, Sprache, und Spiritualität erhalten wollten, zweitens dem gemässigten National Congress of American Indians, und drittens den Vorläufern der Red Power-Bewegung. Seit 1944 vertritt der National Congress of American Indians (NCAI), die älteste, grösste, und repräsentativste indigene Organisation, die Belange der Stämme gegenüber der Bundesregierung. Der NCAI fordert auf juristischem und politischem Wege indigene Rechte wie Souveränität und Vertragsrechte ein, und versucht, die Traditionen und Kulturen ihrer Vorfahren zu schützen und die Lebensqualität von indigenen Gemeinschaften und Menschen zu verbessern.
Mattioli setzt die entstehende Red Power-Bewegung in zwei grössere historische Kontexte: Erstens die Dekolonisationsbewegung nach dem Zweiten Weltkrieg, in dessen Rahmen viele Völker die Kolonialherrschaft abschüttelten und sich zu souveränen Nationalstaaten erklärten. Dieser Trend der indigenen Selbstermächtigung beeinflusste auch die Sichtweise der Native Americans auf den internen Kolonialismus. Zweitens die Bürgerrechtsbewegung der African Americans, die indigenen Aktivisten ein Vorbild hinsichtlich der Formen und der Effektivität des zivilen Ungehorsams lieferte. Beispielsweise protestierten 1957 die Mohawk, Seneca, und Tuscarora erfolgreich gegen den Versuch, Einkommenssteuern auf ihren Reservationen zu erheben, da sie diesen als Angriff auf ihre Souveränität verstanden. 1958 übten die Tuscarora Formen des zivilen Ungehorsams aus, um gegen den Bau eines Staudamms zu protestieren, der eine Teilflutung ihrer Reservation vorsah. Auch wenn die Tuscarora letztlich erfolglos blieben, so zeigte die Protestkampagne doch Wege auf, wie indigene Anliegen über Protest, mediale Selbstinszenierung und internationale Diplomatie zu einem Thema für die Mehrheitsgesellschaft gemacht werden konnten. 1961 gründete sich auf der Chicago Konferenz des NCAI das National Indian Youth Council (NIYC), das für Souveränität, Selbstbestimmung, Selbstregierung, Vertragsrechte, und kulturelle Bewahrung eintrat und – anders als der NCAI – notfalls für ihre Anliegen auf der Strasse demonstrierte. Die Gründung des NIYC wird weithin als der Beginn der Militanz der Red Power-Bewegung angesehen.
Kapitel 5 behandelt die Red Power-Jahre, in denen die indigene Militanz zunächst in den grösseren gesellschaftlichen Umbrüchen seiner Zeit – der schwarzen Bürgerrechtsbewegung, den Studentenprotesten, der Herausbildung alternativer Lebensstile, der Frauenbewegung, der Protestbewegung gegen den Vietnamkrieg – sowie der populären Musik verortet wird. Die Lebensgeschichten und Songs indigener Folk- und Protestsänger*innen wie Peter La Farge und Buffy Sainte-Marie kontextualisieren soziale Umbrüche und stellen eine Verbindung zur indigenen Protestbewegung her.
Unter der Kennedy-Regierung wurde die Terminationspolitik fortgeführt, indem der umstrittene Kinzua-Staudamm gebaut und die Reservation der Seneca geflutet wurden – ein Vorhaben, das einen eklatanten Vertragsbruch bedeutete, aber letztlich vom Obersten Gerichtshof (Supreme Court) bestätigt und bis 1966 umgesetzt wurde. 1966 prägten Aktivisten des NICY in Anlehnung an das schwarze Vorbild den Red Power-Slogan. Auch wenn dieser Slogan nicht klar definiert war, so deutete er jedoch auf konfrontative Protestmethoden und radikalere Ziele hin.
Der Streit um Fischfangrechte im pazifischen Nordwesten kennzeichnet schliesslich die Anfänge der Red Power-Bewegung. Mattioli versteht es hervorragend, die Verzahnung von Protestereignissen, Akteuren und Organisationen darzustellen. Der Fischkrieg entzündete sich zwischen Sportfischern und Bundesbehörden einerseits und den Nisqually, Puyallup, Muckleshot und anderen indigenen Gruppen andererseits, die für ihre vertraglich zugesicherten Rechte und den Erhalt ihrer Lebensweise eintraten. Mitglieder des NIYC engagierten sich im Fischkrieg, formten 1964 die Survival of American Indians Association (SAIA) und machten mit Fish-Ins, Strassenblockaden sowie der Unterstützung von Marlon Brando auf sich aufmerksam. Ein Bundesbezirksgericht entschied 1974 zugunsten der indigenen Nationen (Bold-Decision), ein Urteil, das 1979 vom Supreme Court bestätigt wurde.
Die Besetzung von Alcatraz (1969–1971), der berühmt-berüchtigten Gefängnisinsel durch eine Gruppe indigener Aktivisten aus der Bay Area bildete einen Höhepunkt indigenen Protests. Mattioli stellt hier heraus, wie die Besetzung von Alcatraz indigenen Stolz symbolisierte, die Forderung nach Selbstbestimmung ausdrückte, und zu einem Vorbild für weitere Protestaktionen wurde. Die medienwirksame Alcatraz-Proklamation forderte indigene Souveränität, skizzierte historisches Unrecht und parodierte die angloamerikanischen Kolonialisten in Umkehrung der realen Geschichte und gilt «als Glanzstück politischer Protestrhetorik» (S. 192).
Im Folgenden geht der Autor auf den militanten Widerstand in den 1970er-Jahren ein, insbesondere auf das American Indian Movement (AIM), das 1968 in den Twin Cities von Minneapolis/St.-Paul entstanden war und «in seinem konfrontativen Aktivismus […] an die Black Panther Party [erinnerte]» (S. 219). Ähnlich wie die Black Panthers versuchte sich AIM gegen Polizeibrutalität zur Wehr zu setzen, die Lebensverhältnisse der urbanen Gemeinschaft zu verbessern, und kulturellen Stolz wiederzuerwecken. Zwei Survival Schools, Anfang der 1970er Jahre gegründet, sollten indigenen Kindern ermöglichen, ihrer kulturellen Herkunft bewusst zu sein (S. 219 f.). Die Protestaktionen von AIM beinhalten die Störung der 350-Jahrfeier der Landung der Pilgrim Fathers am Plymouth Rock sowie die Besetzung der Mayflower II (1970); die Besetzung von Mount Rushmore (1970, 1971); der «Trail of Broken Treaties», ein transkontinentaler Protestmarsch, der in der einwöchigen Besetzung des Bureau of Indian Affairs in Washington, D.C. mündete (1972); die 71-tägige Besetzung von Wounded Knee, South Dakota (1973); sowie der transkontinentale «Longest Walk» (1978). Die Besetzung von Wounded Knee lag in einem Konflikt innerhalb der Lakota auf der Pine Ridge-Reservation begründet. Die Besetzung erregte internationale Aufmerksamkeit – nicht zuletzt aufgrund der Symbolik des Ortes, der bewaffneten Auseinandersetzung selbst (mit zwei Toten und einem Schwerverletzen) und der Forderung nach einer unabhängigen Nation. In der Rückschau geriet Wounded Knee «zu einer inspirierenden Manifestation eines militanten Widerstandsgeistes» (S. 257).
Kapitel 6 behandelt die Selbstbestimmungsära und den von der Red Power-Bewegung initiierten Wandel. Bereits unter den Regierungen Johnsons und Nixons trat ein Wandel in der Bundespolitik ein. So vollzog Nixon eine Abkehr von der Terminationspolitik mit der Rückgabe von Taos Blue Lake an das Taos Pueblo (New Mexico) im Jahre 1970 und der Wiederherstellung der 1954 liquidierten Menominee Nation im Jahre 1973. Der 1975 verabschiedete Indian Self-Determination and Educational Assistance Act stellt das Kernstück der Selbstbestimmungsära dar. Dieses Kapitel richtet das Augenmerk auf den Aktivismus indigener Frauen, die nach der Inhaftierung vieler männlicher Aktivisten 1973 den Protest fortführten. Tatsächlich waren indigene Frauen integraler Bestandteil der Red Power-Bewegung als community organizers, wurden jedoch oftmals von den Medien ignoriert. Die Women of All Red Nations (WARN) traten u. a. gegen die Sterilisationskampagne des Indian Health Service (IHS), Umweltzerstörung und Uranabbau ein, und stellten die Belange der zukünftigen Generation in den Vordergrund.
Ein Schlusskapitel fasst die indigene Protestgeschichte zusammen und kategorisiert die indigenen Hauptforderungen in zwei Haupttypen: die nach voller Souveränität und Loslösung von den USA sowie die Forderung nach (Teil‐)Autonomie innerhalb der USA (wie sie mit weitreichender Gesetzgebung letztlich erreicht wurde). Es ist keine leichte Aufgabe, die indigene Protestbewegung der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts darzustellen. Die von Mattioli vorliegende Darstellung wurde kenntnisreich und aus einer Perspektive geschrieben, durch die sich die Geschichte Nordamerikas umfassender verstehen lässt. Die Forderungen nach indigener Selbstbestimmung stellten im Kern das System des internen Kolonialismus in Frage und bestimmten massgeblich den gegenwärtigen Status der Native Americans in ihrer angestammten Heimat.
Zitierweise:
Voigt, Matthias: Rezension zu: Mattioli, Aram: Zeiten der Auflehnung. Eine Geschichte des indigenen Widerstandes in den USA, 1911–1992, Stuttgart 2023, https://www.infoclio.ch/de/rez?rid=145118. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 74(1), 2024, S. 147-151. Online: <https://doi.org/10.24894/2296–6013.00142>.