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Titel
Die Unterwerfung. Anfang und Ende der menschlichen Herrschaft über die Natur


Autor(en)
Blom, Philipp
Erschienen
München 2022: Carl Hanser Verlag
Anzahl Seiten
368 S.
von
Peter Hersche

Philipp Blom gehört gegenwärtig zweifellos zu den zahlreich publizierenden und viel gelesenen Autoren. Seine Werke zieren die Bestsellerlisten und im NZZ-Magazin Geschichte genoss er bis vor kurzem als Kolumnist Gastrecht. Seine Publikationen befassten sich vor allem mit Krisenphänomenen, zuletzt insbesondere in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Mit seinem neuesten Buch schlägt er nun einen weiten Bogen zurück. Das Thema könnte aktueller nicht sein: Es geht um die Unterwerfung der Natur durch den Menschen und ihren heute allen vor Augen liegenden katastrophalen Folgen: Gute Voraussetzungen für einen Bestseller.

Blom geht zunächst auf die Mythen der Alten Welt (Gilgamesch, Matriarchat, griechische Sagen usw.) ein. Zum Thema Unterwerfung muss natürlich hier vieles spekulativ bleiben. Man wird dem Autor aber wohl zustimmen können, wenn er sagt, dass die in den antiken Hochkulturen erfolgte Unterwerfung der Mehrheit der Bevölkerung unter eine kleine herrschende Klasse, Grundlage auch der Naturbeherrschung gewesen sei. Deren Anfänge reichen ins Zweistromland zurück und finden im Römischen Reich eine Fortsetzung. Der Verfasser muss natürlich auch auf das berühmte Bibelwort «Macht Euch die Erde untertan» (Gen 1,28) eingehen, was wichtig ist, weil es von bibelgläubigen Protestanten bis heute ernst genommen und auch praktiziert wird. Im Sauseschritt geht es dann über die Kirchenväter und die wichtige Station Francis Bacon recht direkt zur Aufklärung, die in aller Breite und gelegentlich auch etwas weit weg vom Hauptthema behandelt wird. Alte religiöse Vorstellungen wirkten gewandelt in ihr noch lange nach. Sie ist passförmig zur damals mit der Industriellen Revolution beginnenden neue Stufe der Naturausbeutung und -beherrschung. Blom weist aber stets auch auf kontrastierende Meinungen hin, etwa bei Montaigne, Spinoza, Swift, Holbach, Alexander von Humboldt. Die Fortsetzung des aufklärerischen Denkens wird weiter bis hin zu Rassismus, Nationalismus und Imperialismus verfolgt. Der Schlussteil mündet dann, nach einer zwar treffenden, gleichwohl aber etwas bemühten, weil schon zu oft gemachten Aufzählung aller ökologischen Probleme der Gegenwart, in eine (zu erwartende) Kritik der aufklärerischen Fortschrittsidee. Blom fordert demgegenüber ein grundlegend anderes Verhältnis zur Natur. Für die Umsetzung bleibt er, aus verschiedenen Gründen, allerdings gleichwohl eher pessimistisch. Er hat gute Gründe dazu, immerhin könnte man auf allerlei ökologiebewusste Gegenströmungen hinweisen.

Es mag ja lehrreich sein, mit Blom den philosophischen Diskussionen der fortschrittlichen Geister seit Bacon und den Aufklärern zuzuhören. Eher wünschte man sich allerdings, er hätte, statt sich zuweilen in geistesgeschichtlichen Subtilitäten etwas zu verlieren, auch die konkrete Geschichte unter dem Aspekt der Ökologie ins Auge gefasst. Es ist nämlich durchaus fraglich, ob die Handelsherren, Unternehmer, Erfinder, Kolonisatoren, Plantagenbesitzer usw. jene Überlegungen überhaupt jemals zu Kenntnis genommen haben – vermutlich blieb ihnen bei ihrer rastlosen Tätigkeit gar keine Zeit dazu. Sie aber waren die Täter, sie waren es, welche in der Praxis tagtäglich und weltweit ohne lange Bedenken die Welt umkrempelten, die Natur ausbeuteten und uns das heutige ökologische Schlamassel hinterliessen. Den Weg von der Theorie zur Praxis nachzuzeichnen ist sicher immer eine Crux der Historiographie. Vor allem ist Wirtschaftsgeschichte – und um die geht es hier vor allem – keine spassige Angelegenheit: Man muss, wie weiland schon Werner Sombart, sperrige Quellen ausfindig machen, sich mit langen Zahlenreihen herumschlagen, geschönte Biographien kritisch durchleuchten, fachsprachliche Kenntnisse mitbringen, über technisches Verständnis und noch viel mehr verfügen. Blom enthebt sich dieser Mühe: Seine Darstellung ist fast reine Ideengeschichte, die Praxis des wirtschaftenden und in unserem Fall umweltzerstörenden Menschen interessiert ihn kaum. Nur die Sklaverei wird einigermassen ausführlich behandelt. Man kann, schon in den alten Kulturen, die Gärten als erste Versuche der Naturbeherrschung sehen, Blom geht dann aber nur noch kurz auf Versailles ein. Die Landwirtschaft wird im chronologischen Fortgang je länger je weniger beachtet, obschon sie in zunehmenden Masse ein wesentlicher Faktor des heutigen Desasters wurde. Die neuen, vor allem von den Niederlanden, England und Frankreich gepflegten Naturwissenschaften, die einen wichtigen «link» zur praktischen Anwendung bilden, thematisiert Blom nicht. Auch die konfessionellen Unterschiede des Wirtschaftens sind ihm nicht aufgefallen, im Gegensatz zu einigen Aufklärern, als Vorläufer Max Webers. Grundlegende Weichenstellungen der Wirtschaftsgeschichte werden bestenfalls en passant erwähnt. Diese Vernachlässigung hat ihre Gründe.

Auf den ersten Blick hat man bei der Lektüre des Werks den Eindruck, man habe es bei Blom mit einem vielseitig interessierten, belesenen Autor mit weitem Blick und der Fähigkeit transdisziplinären Denkens zu tun. Dann macht einen aber das sehr lückenhafte Literaturverzeichnis stutzig und man fragt sich, ob hier bloss Uninformiertheit oder bewusstes Verschweigen die Feder führten. Dass in jenem praktisch die gesamte Literatur zur Umweltgeschichte fehlt, überrascht zwar angesichts des ideengeschichtlichen Zugangs nicht, so wenig wie die Absenz wirtschaftshistorischer Standardwerke. Zum Kapitel «Warum Europa?» (als künftige Beherrscherin der Welt, S. 127ff.) hat Michael Mitterauer unter exakt diesem Buchtitel weitaus mehr kluge Gedanken als Blom geäussert. Ebenfalls unter demselben Titel wie bei Blom hat vor einigen Jahren Wolfgang Reinhard in einem dickleibigen Werk eine Fülle von Informationen zur kolonialen Ausbeutung geboten. Dasselbe gilt von dem umfassenden Buch von Jörg Schmidt, einem ökologisch sensibilisierten Autor, über die Arbeit (vgl. unsere Besprechung in diesem Band). Zur ökologischen Problematik der modernen Landwirtschaft haben u.a. Günter Rohrmoser, Rolf Peter Sieferle und Frank Uekötter Grundlegendes geschrieben. Wer über die Rolle Chinas in der Weltgeschichte schreibt, kommt m.E. nicht um das Werk von Kenneth Pomeranz herum. Das «1950-er Syndrom» ist pionierhaft von Christian Pfister analysiert worden. Zum «Herrschaftsauftrag» von Gen 1,28 haben seinerzeit Lynn White und Carl Améry eine Diskussion losgetreten; neuerdings haben Theologen wie Markus Vogt und Andreas Lienkamp versucht, ihm die Zähne zu ziehen. Holistische Positionen, wie sie Blom im Schlussteil offenbar naheliegen, haben schon früh in der neueren Ökologiebewegung Klaus Michael Meyer-Abich oder Autoren um die kritische Zeitschrift «Scheidewege» vertreten. Undsoweiter.

Dem Fachhistoriker bietet infolgedessen das Buch von Philipp Blom nicht viel Neues, denn so bequem kann man es sich einfach nicht mehr machen, vor allem dann nicht, wenn man im Untertitel mit einem totalen Anspruch auftritt. Wenn der Buchtitel einschränkender wäre («Ideengeschichtliche Grundlagen der Unterwerfung…»), würden die hier geäusserten Einwände dahin fallen. So wurde aber eine Chance vertan. Dem breiten Publikum kann das Buch, mit den erwähnten Einschränkungen, als erste Annäherung gleichwohl empfohlen werden, weil Blom durchaus flüssig schreibt, was bei vielen Fachpublikationen leider nicht der Fall ist. Gerade bei ökologisch sensibilisierten Zeitgenossen macht sich nämlich oftmals eine totale Geschichtsverdrossenheit bemerkbar: «man hat ja alles falsch gemacht». Das ist nicht zielführend, führt höchstens dazu, das Rad nochmals zu erfinden. Wer die Probleme der Gegenwart bewältigen will, muss wissen, wie sie zustande gekommen sind. Diese Aufgabe erfüllt Blom wenigstens zum Teil.

Zitierweise:
Hersche, Peter: Rezension zu: Blom, Philipp: Die Unterwerfung. Anfang und Ende der menschlichen Herrschaft über die Natur, München 2022. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 117, 2023, S. 468-470. Online: https://doi.org/10.24894/2673-3641.00155.

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