C. Ammann-Doubliez: Procès de sorcellerie dans la vallée de Conches (1466–1467)

Cover
Title
Procès de sorcellerie dans la vallée de Conches (1466–1467) et chasses aux sorciers et sorcières en Valais au XVe siècle.


Author(s)
Ammann-Doubliez, Chantal
Series
Cahiers de Vallesia
Published
Sion 2020: Archives de l’Etat du Valais
Extent
690 S.
by
Georg Modestin, Fachschaft Geschichte, Kantonsschule Freudenberg (Zürich)

Als Teil des Westalpenbogens gehört die Westschweiz zu den Kernländern der mittelalterlichen Hexenverfolgung. Bislang hat vor allem die savoyische und die lausannisch-fürstbischöfliche Waadt das Interesse der Forschung stimuliert, dank eines reichen Bestands an Hexenprozessakten aus dem «kritischen» 15. Jahrhundert, der heute im Waadtländer Staatsarchiv in Form eines zu Beginn des 20. Jahrhunderts zusammengebundenen Codex überliefert ist. Was die gegenwärtigen Kantone Freiburg und Genf betrifft, so zählen sie zur selben Verfolgungslandschaft, wenn auch ihre mittelalterlichen Quellenbestände mit dem waadtländischen nicht zu vergleichen sind. Ein weiterer Verfolgungsraum ist das Wallis, das bis in die Jahre 1475–1476 herrschaftlich in das fürstbischöfliche Oberwallis und das savoyische Unterwallis aufgeteilt war, als Bischof Walter Supersaxo im genannten Zeitraum die savoyischen Herrschaftsträger aus dem Unterwallis militärisch hinausdrängte. Wir erwähnen den Namen dieses Bischofs, weil er als einer der grossen Hexenjäger unter den Westschweizer Prälaten gilt, unter dessen Episkopat (1457–1482) die Verfolgung angeblicher Teufelsdienerinnen und -diener eine neue Dynamik erfuhr. Die im vorliegenden Band edierten, übersetzten und ausführlich eingeleiteten Quellen sind im Zuge dieser Dynamik entstanden. Bereitgestellt hat sie Chantal Ammann-Doubliez, die beste Kennerin der Walliser Hexenverfolgungen im Mittelalter, ja, die Fachfrau, welche das Wallis fast im Alleingang auf der historiographischen Landkarte der Westschweizer Hexenverfolgungen verankert hat.
Die hier rekonstruierten Geschehnisse sind, so zynisch es klingen mag, auf den ersten Blick banal: Vier Personen, zwei Männer und zwei Frauen, letztere Mutter und Tochter, werden aufgrund von Verdächtigungen im sozialen Umfeld verhaftet, verhört, gefoltert und als angebliche Hexer und Hexen hingerichtet. Das überragende Interesse der Quellen erschliesst sich einem aber auf den zweiten Blick: Es geht um die rechtlichen und politischen Umstände, unter denen die Prozesse geführt wurden. Die Ereignisse konzentrierten sich nämlich auf die so genannte «Grafschaft» Biel, einen zum Oberwalliser Zenden Goms gehörenden Verbund, der aus einer Handvoll benachbarter Dörfer bestand und sich dadurch auszeichnete, dass er ein «Freigericht» bildete (juridiction dite «libre»). Für die Mitte des 15. Jahrhunderts wird die Bevölkerungszahl der Grafschaft auf drei- bis vierhundert Einwohner geschätzt – es geht also um eine kleine jurisdiktionelle Einheit, die entsprechend schwer vom Verfolgungsschub der 1460er-Jahre getroffen wurde. Der grafschaftliche Sonderstatus wurde von Walter Supersaxo zuletzt am 20. Juni 1466 anerkannt – freilich unter dem Vorbehalt, dass der aus der Grafschaft stammende Richter und die Schöffen Sanktionen nur bis zur Todesstrafe aussprechen durften. Sollte Letztere verhängt werden, mussten der Meier des Goms mit seinen Schöffen hinzugezogen werden. Das Todesurteil hatte danach noch der Sittener Bürgerschaft vorgelegt zu werden und wurde vom Gomser Meier vollstreckt (80). In der Praxis bürgerte sich aber ein, dass die Verdikte auch noch von Walter Supersaxo selbst bestätigt wurden.
Die angeführte Anerkennung vom 20. Juni 1466 steht in Zusammenhang mit der sich anbahnenden Hexenverfolgung. Erste gegen den Schuhmacher Hensli Heymen gerichtete Besagungen fallen nämlich bereits in die Folgewoche. Drei davon entstammen sogar vorausgegangenen Prozessen – die Repressionswelle hatte also schon eingesetzt. Hensli Heymen belastende Auszüge aus diesen Prozessen wurden vom Gomser Meier mit dem grafschaftlichen Richter geteilt, was das Zusammenwirken der beiden «rivalisierenden» Jurisdiktionen illustriert. Henslis Todesurteil vom 10. Juli wurde zwei Tage später von der Sittener Bürgerschaft bestätigt. Damit kam der Verfolgungsschub aber nicht zu einem Ende. Im Gegenteil: Das grafschaftliche Gericht fachte die Repression an, indem es am 17. und am 19. Juli zu einer Reihenbefragung (enquête générale) der Einwohner rief, mit dem Ziel, weitere Verdächtige aufzuspüren. Die Protokolle dieser Reihenbefragung – eine vergleichsweise selten erhaltene Quellenart, was die Bedeutung der Mitschriften steigert – verraten die Handschrift des mit ihrer Anfertigung betrauten Notars Nikolaus Imoberdorf. Es sind also keine neutralen, gleichsam «ethnographischen» Aufzeichnungen. Trotzdem erlauben sie – beschränkte – Eindrücke von einem ländlichen Mikrokosmos, in dem Verdächtigungen und Anschuldigungen nicht direkt geäussert, sondern umschreiben bzw. suggeriert werden – eine Beobachtung, die sich mit bestehenden Befunden deckt. Als «graue Eminenz» erscheint bei dieser Befragung der grafschaftliche Richter Anton Rugger, auf dessen Geheiss (und auf Betreiben der Gemeinde hin) die Voruntersuchung eröffnet wurde, an der er selbst als Zeuge teilnahm und sich dabei merklich auf Trina Kuenis «einschoss»: «L’homme connaît les rouages de la justice, participe à la vie politique […]. [I]l se positionne à l’interface des deux niveaux chers aux historiens: celui de la population et celui de la justice» (148–149). Damit ist er nicht allein: Unter den Auskunftspersonen finden sich auch mehrere Geschworene, die unter dem Vorsitz Ruggers – ihre Funktionen kumulierend – über das Schicksal der Vorgeladenen zu befinden hatten.
In der Folge der Reihenuntersuchung wurden noch am 17. Juli die bereits genannte Trina Kuenis sowie deren Tochter Nesa verhaftet. Nach einem einwöchigen Verfahren, bei dem es auch zur Anwendung der Folter kam, wurden beide, Mutter und Tochter, am 25. Juli zum Tode verurteilt – ein Verdikt, das vier Tage später, am 29. Juli, von Walter Supersaxo und noch einen Tag später von der Sittener Bürgerschaft ratifiziert wurde. Das vierte Opfer der Bieler Hexenjagd in den 1460er-Jahren war der Schneider Klaus Schröter, dessen Prozess im März 1467 über die Bühne ging. In den Akten der Reihenuntersuchung vom Vorjahr ist er zugleich als Auskunftsperson als auch als Denunzierter verzeichnet, was ihn zur Flucht verleitete. Weitere Nahrung erhielt der Verdacht gegen ihn durch den Umstand, dass er Mitte September 1466 in einem weiteren, nicht erhaltenen Prozess als Komplize denunziert wurde. Nichtsdestotrotz kehrte er am 10. März 1467 in seine Heimat zurück und stellte sich dem Richter Anton Rugger, wahrscheinlich in der Hoffnung, seinen Ruf klären zu können. Wie sehr er sich täuschte, ersieht sich dadurch, dass er umgehend ver haftet und schon zwei Tage später der Folter unterzogen wurde. Er hielt mehrere Folterverhöre durch, bis schliesslich am 17. März sein Wille gebrochen wurde und die Geständnisse einsetzten. Zwei Tage später erging sein Todesurteil.
Die vier Bieler Opfer, deren Prozesse erhalten sind, bilden nur die Spitze eines Eisbergs. In den fraglichen Jahren erfasste eine umfassendere Hexenjagd Teile des bischöflichen Oberwallis, der etwa zehn weitere angebliche Hexen und Hexer zum Opfer fielen. Damit erreichte die Repression ein Ausmass, das der Verfolgung im Bistum Lausanne während des Episkopats Benedikts von Montferrand (1476–1491) in nichts nachsteht (vgl. Georg Modestin, «Ein allzu eifriger Hexenjäger? Der Lausanner Fürstbischof Benedikt von Montferrand (1476–1491) und die Westschweizer Inquisition im späten 15. Jahrhundert», in: Andreas Exenberger [Hg.], Ein Fels in der Brandung? Bischof Golser und der Innsbrucker Hexenprozess von 1485, Kufstein 2015, 137–150).
Chantal Ammann-Doubliez verbindet in ihrem Ansatz mikro- und makroskopische Perspektiven. Im Kleinen interessiert sie sich für das Schicksal von Einzelpersonen und Familien sowie für das Verhältnis verschiedener «Clans» untereinander, denen die Hexenverfolgung ein Mittel zur destruktiven «Lösung» ihrer Konflikte in die Hand zu geben schien. Dabei blickt sie den Notaren, deren formalisierte Mitschriften die einzige Möglichkeit darstellen, den Schleier der Geschichte wenigstens etwas zu lüften, genau über die Schultern. Im Grossen bettet die Verfasserin die Geschehnisse in der Grafschaft Biel in die Hexenverfolgungen während des ganzen Episkopats Walter Supersaxos ein, ja, in die mittelalterlichen Hexenverfolgungen im Wallis überhaupt. Dabei ist ihr Interesse umfassend und beinhaltet sowohl soziologische, herrschaftspolitische als auch dämonologische Fragestellungen. In diesem letzten Zusammenhang sei nur auf die unterschiedliche Ausformulierung der Gerichtsakten und der Bestätigungen der Todesurteile durch den Bischof von Sitten verwiesen. Gelegentlich schweift der Blick von Chantal Ammann-Doubliez auch über das Wallis hinaus, insbesondere wenn es darum geht, möglichen Verbindungslinien zwischen den Verfolgungen in der Leventina (1457–1459) und denjenigen im Urserental und, vom Urserental ausgehend, im benachbarten Goms nachzuspüren.
Die Ereignisse in Biel sind mustergültig aufgearbeitet: Auf die dreihundertsechzig Seiten starke Einführung und Analyse, die allein schon einen monographischen Charakter besitzt, folgen die Edition der lateinischen Originalstücke und eine französische Übersetzung derselben. Der deutschen Quellenfassung (übersetzt durch Hans-Robert Ammann und Josef Sarbach) ist eine deutsche Kurzfassung der Einleitung (übersetzt durch Curdin Ebneter) vorangestellt. Der Band als Ganzes wird durch ein kumuliertes Namen- und Ortregister (von Hans-Robert Ammann) erschlossen.

Zitierweise:
Modestin, Georg: Rezension zu: Ammann-Doubliez, Chantal: Procès de sorcellerie dans la vallée de Conches (1466–1467) et chasses aux sorciers et sorcières en Valais au XVe siècle (Cahiers de Vallesia 32), Sion 2020. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 117, 2023, S. 440-442. Online: https://doi.org/10.24894/2673-3641.00155.

Editors Information
Author(s)
Contributor
Additional Informations
Type
Classification
Temporal Classification
Regional Classification
Book Services
Contents and Reviews
Availability