E. A. Schmidt: Eine Untersuchung der Theorien in Antike und Früher Neuzeit

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Titel
Das Leere. Eine Untersuchung der Theorien in Antike und Früher Neuzeit


Autor(en)
Schmidt, Ernst A.
Erschienen
Frankfurt am Main 2023: Vittorio Klostermann
Anzahl Seiten
308 S.
von
Andreas Burri

Es handelt sich um eine Rezeptionsgeschichte der für den naturphilosophischen Atomismus zentralen Spekulation über das Leere. Die Studie ist in zwei Teile gegliedert: Erstens wird die Genese, die Kritik und die Weiterentwicklung der Gedankengänge um das Leere in der griechischen Klassik und im Hellenismus nachgezeichnet. Nebst den für den antiken Atomismus zentralen Personen – Leukipp, Demokrit, Epikur und Lukrez – erarbeitet die Studie ein massives Quellenmaterial antiken Denkens, wobei namentlich Straton und Philoponos Raum bekommen. Im zweiten Teil beschreibt die Studie die Rezeption und Weiterführung der antiken Spekulationen über das Vakuum in der frühneuzeitlichen Physik bzw. Naturphilosophie Galileis, Gassendis und Mores. Abschließend weitet sie die Rezeptionsgeschichte auf Polignac, Wieland und Le Sage aus. Wie der erste Teil ein enormes Maß an Quellen aufbietet, berücksichtigt auch der zweite Teil Impulse wie Descartes, Newton, Leibniz, Haller aber auch Schiller.
Ein interpretatorisches Zentrum liegt beim horror vacui und damit bei der Theodizee, insofern die Frage nach dem Leeren die Furcht vor dem Nicht-Sein, vor der gegebenen Welt mit sich führen kann. Die Studie will zeigen, dass diese Angst auf das antike Denken nicht zutrifft, sondern ein mittelalterliches und frühneuzeitliches Konzept bildet, das namentlich Gassendi in der Neuzeit dann überwindet. Die Lösung wird darin gesehen, dass das Leere ein natürlicher Bestandteil ist, der Bewegung des Seins und Platz für das Sein ermöglicht und damit nicht zu fürchten sei. Zentral für diese positive Betrachtung des Leeren als natürliche und damit gute Kategorie ist die von Gassendi weitergeführte antike Porentheorie, insofern sie hilft, das Leere nicht als den schwarzen Schlund des Vakuums um uns, sondern als ein im konkreten körperlichen Sein vorhandenen und dieses mitkonstituierenden Bestandteil der Natur anzuschauen. Der Grund zu dieser Sorglosigkeit liegt aber tiefer im Gottvertrauen: Die Studie webt die antike und neuzeitliche Diskussion um das Leere fortwährend in eine theologische Debatte ein, innerhalb derer der antike Atomismus von den behandelten Personen der Neuzeit teils abgelehnt, teils eklektisch weitgeführt wird: So bekämpft Polignac den antiken Atomismus, weil er im Leeren ein Ding sieht, das Gott verdränge und damit den Menschen in Unmoral versetze. Er gedenkt dies mit einer Theologie der Angst, die den Menschen zügelt, zu reparieren. Schmidt führt hier berechtigte Kritik an – der zentrale Irrtum Polignacs sei nebst seiner fragwürdigen Theologie, dass er das Leere als Ding auffasse – und weist auf das bessere Beispiel Wielands hin, dessen Naturgedicht den antiken Atomismus zwar teils kritisiert, jedoch unter Bezug auf den Platonismus, Origenes und Leibniz konstruktiv weiterdenkt. Ziel ist die Überwindung der Theodizee durch ein Vertrauen in die Natur hin zu einer «Liebestheologie» (Kapitel 8,2). Die Studie schließt damit, dass der antike Atomismus mit seiner Lehre von der Abweichung der Atome auf ihrem Weg metaphysisch Spontaneität zulässt (vgl. 17f., 33f., 36f., 40, 56f. 80–82, 163–165, 204f., 211f., 227–229, 233, 241f., 244–246, 254f., 258f., 269, 271, 279).
Die Teilkapitel werden jeweils mit einer kurzen Einführung versehen. Der Text selbst aber kann des Öfteren als unzugänglich empfunden werden, insofern, da trotz jener Einführungen, eine Leseführung durch die Argumentation vermisst wird. Wie bereits angesprochen bietet die Studie aber einen enormen Quellenaufwand auf. Wer sich eingehend mit dem antiken Atomismus und seiner Rezeption in der Neuzeit beschäftigt, stößt hier auf einen sehr exakt erarbeiteten Fundus. Dass die naturphilosophische Diskussion um das Leere fortlaufend in einen theologisch-metaphysischen Diskurs weiterführt, zeugt von einer tiefgehenden Auseinandersetzung mit dem Thema.

Zitierweise:
Burri, Andreas: Rezension zu: Schmidt, Ernst A.: Das Leere. Eine Untersuchung der Theorien in Antike und Früher Neuzeit, Frankfurt a. M. 2021. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 117, 2023, S. 415-416. Online: https://doi.org/10.24894/2673-3641.00155.

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