D. Morgan: An Introduction to the Material Study of Religions

Cover
Titel
The Thing about Religion. An Introduction to the Material Study of Religions


Autor(en)
Morgan, David
Erschienen
Chapel Hill 2021: University of North Carolina Press
Anzahl Seiten
268 S.
von
Sven Baier; Damian Troxler

«Objects, spaces and places invite, threaten, scare, comfort, and inspire people interacting with them. And for this reason, people form relationships with such things that endure over time and shape personal and social life» (22). David Morgan, Professor für Religionswissenschaften an der Duke University in North Carolina, richtet den Blick auf die materielle Seite einer Religion, also auf «Dinge», die nicht als blosse Objekte von Gläubigen zu verstehen sind, sondern eine Wirkung auf diese erzielen und so mit ihnen in eine wechselseitige Beziehung treten. In seinem neusten Werk, welches im theoretischen Teil stark auf seinen Publikationen aus den letzten drei Jahrzehnten aufbaut, zeigt Morgan einmal mehr, wie sehr der Blick auf Religionen und religiöse Praktiken in den letzten Jahrhunderten von einem Anthropozentrismus geprägt war, der Menschen als einzige Akteure porträtierte und die Macht ritueller Praktiken vernachlässigte.
Interessanterweise handelt es sich beim zunehmenden Fokus auf die Materialität von Religionen keineswegs um ein neues Phänomen. So zeichneten sich antike Naturgötter weniger durch ihre Übernatürlichkeit, sondern vielmehr durch ihre «Hypernatürlichkeit» aus – sie waren physisch sehr präsent im Leben der Gläubigen und wurden deshalb vielmehr als wichtiger Bestandteil der Natur angesehen anstatt als übernatürliche Wesen (58). Dies mag die Frage aufwerfen, ob es sich bei einer solchen Integration von Naturgottheiten in den Alltag noch um religiösen Glauben oder nicht vielmehr um magische Vorstellungen handelt. David Morgan allerdings hinterfragt eine strikte Trennung zwischen einer okkulten Magie und einer spirituellen Religion, wie sie zum Beispiel vom britischen Anthropologen Edward Tylor (1832–1917) vertreten wurde. Vielmehr, so argumentiert Morgan, handle es sich bei beiden um Formen eines «enchantments» (60) – also der Überzeugung, dass es neben einer rein rationalwissenschaftlichen Funktionsweise der Welt noch weitere Wirkmächte gäbe. Was Religionen von Magie unterscheide, sei vielmehr die vom französischen Soziologen Emile Durkheim (1858–¬1917) mit dem Wort «community» beschriebene soziale Verbundenheit zwischen Religionsangehörigen. Insofern ist auch die vom frühen Protestantismus propagierte dichotomische Unterscheidung zwischen korrektem Glauben und materiellen, abergläubischen Symbolen wenig hilfreich, da sich letztendlich alle Religionen auf materielle Formen abstützen – David Morgan bevorzugt dafür den Begriff «embodiment» (64), welcher die flexible und unabgeschlossene Verkörperung von Glaubensgrundätzen verdeutlichen soll. Für ihn ist Religion etwas, das stattfindet («religions happen», 76) und zwar in Form von Praktiken, Ritualen und Beziehungsgeflechten, welche nicht nur Menschen und übernatürliche Wesen, sondern auch Dinge, Umgebungen und Substanzen miteinschliessen.
Im mittleren Teil seines Werks beleuchtet Morgan deshalb sieben ausgewählte, nicht abschliessende Formen religiöser Praktiken, welche er jeweils mithilfe von anschaulichen historischen oder gegenwärtigen Beispielen verdeutlicht. Religionen manifestieren sich demnach durch «Body Work» (78), «Ingestion» (81), «Performance of Punishment» (83), «Facing the Sacred» (85), «Imaging Ideology» (88), «Sacred Exchange» (94) sowie durch «Divination» (97) in der materiellen Welt.
Die Macht der Dinge veranschaulicht Morgan anschliessend im praktischangewandten Teil des Buches als erstes an der rituellen Geschichte von Zauberstäben (101ff.). Frühe Beispiele hierfür findet er nicht nur in antiken Mythen der Ägypter und Griechen, sondern etwas überraschend auch im Alten Testament: Moses erhält darin von Gott einen Stab, mit dem er dessen Wunder in der Welt vollbringen soll. Auch Jesus wird auf Abbildungen des frühen Christentums in Anlehnung an Moses zuweilen mit einem Heilungsstab dargestellt, wobei der mutmassliche Zauberstab nach und nach durch das Kreuz als wundervollbringendes Instrument abgelöst wird. Mit explizitem Verweis auf neopaganistische Strömungen und J.K. Rowlings Harry Potter Reihe porträtiert Morgan Zauberstäbe als exemplarische Auslöser für die Entstehung der für Religionen charakteristischen Beziehungsnetze zwischen Subjekt, Objekt und Umgebung.
Um als zweites den Aspekt von Zeitlichkeit in Dingen zu verdeutlichen, zieht Morgan ein ungleich monumentaleres Exemplar heran: jenes der rund 800 Jahre alten Kathedrale von Notre Dame de Paris (129ff). In einem historischen Abriss zeigt Morgan auf, dass die Kathedrale trotz ihrer beständigen gotischen Bauweise über die Jahrhunderte in einem ständigen Wandel begriffen war. Ihre Geschichte sei dabei so eng mit derjenigen Frankreichs verwoben gewesen, dass die Kathedrale bei ihrem Brand im Jahre 2019 nicht mehr nur als imposante römisch-katholische Glaubensstätte angesehen wurde, sondern als Symbol der französischen Nation schlechthin. Im Sinne von Jean-Jacques Rousseaus (1712–1778) Zivilreligion bilde sie um sich herum eine eigene community; die Beschädigung ihres Dachs durch das Feuer kann damit als gleichbedeutend mit einer Verletzung der community angesehen werden – weshalb ausser Frage steht, dass die Kathedrale in irgendeiner Form wiederhergestellt wird.
In einem weiteren Kapitel verdeutlicht Morgan den Beschreibungswandel, welchem religiöse Gegenstände im Laufe der Zeit unterliegen am Beispiel der traditionellen Gottheiten Polynesiens (156ff.), welche ihrer ursprünglichen Funktion entrissen und von Missionarsgesellschaften nach London und Boston gebracht wurden. Die hölzernen Schnitzereien wurden von den Polynesiern nach den in ihnen wohnenden Gottheiten (i.e. A’a, Ta’aroa, Oro, Tane) benannt, während die christlichen Missionare darin nichts weiter als «Idole» sahen. Mit der christlichen Bekehrung der indigenen Völker Polynesiens wurden deren traditionelle Gottheiten oftmals verbrannt oder in anderer Form rituell exekutiert, da diese radikale Vorgehensweise die Trennung zwischen ursprünglichen Gottheiten und Bevölkerung zu vereinfachen schien. Die wenigen Überbleibsel wurden als «Gefangene» oder «Trophäen» nach Europa verschleppt, wo sie als «gesammelte Kuriositäten» ausgestellt wurden, welche den europäischen Besuchern unter anderem die Überlegenheit der eigenen Religion verdeutlichen sollten. Einen weiteren Bezeichnungswandel erfuhren die Gegenstände mit dem zunehmenden Einfluss der Ethnologie auf die europäischen Museen und der damit verbundenen Kategorisierung kultureller Artefakte. Aufgrund des Seltenheitswerts solcher Kulturgüter lasse sich heute, so Morgan, gar eine «Resakralisierung der Objekte in ästhetischer Hinsicht» (179) beobachten.
Vor allem mit diesem letzten Kapitel und in den abschliessenden Gedanken erscheint David Morgans Intention in einem klareren Licht: Er möchte den Religionsbegriff breiter verstanden wissen, als dieser von der christlichen Tradition nahegelegt wird, zumal sich religiöse Praktiken einerseits schon 40ʼ000 bis 50ʼ000 Jahre vor dem Erscheinen der Bibel beobachten liessen (181) und sich andererseits Religionen weit stärker auf materielle Dinge abstützten als dies vom auf Schriften, Worten und Ideen fokussierten Christentum anerkannt wird (182). Zur mentalen Erweiterung des Religionsbegriffs, welcher der Macht von Dingen und Beziehungsnetzen Rechnung trägt, hat David Morgan mit seinem neuen inspirierenden und reich illustrierten Werk bei seinen Leserinnen und Lesern sicherlich beigetragen.

Zitierweise:
Troxler, Damian; Baier, Sven: Rezension zu: Morgan, David: The Thing about Religion: An Introduction to the Material Study of Religions, Chapel Hill 2021. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 116, 2022, S. 485-487. Online: https://doi.org/10.24894/2673-3641.00127.

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