J. Tretera u.a. (Hrsg.): Spiritual Care in Public Institutions in Europe

Cover
Title
Spiritual Care in Public Institutions in Europe.


Editor(s)
Rajmund Tretera, Jiří; Horák, Záboj
Series
Kirche & Recht, Beihefte
Published
Berlin 2019: Berliner Wissenschafts-Verlag
Extent
140 S.
by
David Neuhold

Rechtliche Voraussetzungen sind für die Implementierung von Spiritual Care entscheidend, ja im wahrsten Sinne des Wortes «Grund»-legend. Gesetze, Normen, Vereinbarungen und Richtlinien entstehen nicht im luftleeren Raum, sie fallen nicht vom Himmel. Vorliegendes mit 140 Seiten kompaktes Buch, das einen implizit komparativen Überblick für neun europäische Länder und Systeme (Deutschland, England, Frankreich, Schweiz, Österreich, Ungarn, Polen, Slowakei und die Tschechische Republik) bietet, macht deutlich: Geschichtliche und kulturelle Voraussetzungen prägen bestehenden Recht und somit den Möglichkeitsraum von und für Spiritual Care in öffentlichen Institutionen. Dazu ist die Rechtsentwicklung vielerorts (erfreulich) dynamisch.
Der Umgang mit den in der europäischen Kulturgeschichte bedeutsamen, zumeist christlichen Religionsgemeinschaften sowie der ihnen je zugemessene Status und Spielraum spiegeln sich im rechtlichen Rahmen für spirituelle Begleitung bzw. Versorgung. Das Buch fasst verschiedene Ausprägungen von Seelsorge ins Auge, in Institutionen wie dem Militär, Gefängnissen, Gesundheitseinrichtungen, Bildungsinstituten wie Schulen und Universitäten, Asylunterkünften, der Polizei etc., also «abgegrenzten» und nach einer Eigenlogik funktionierenden staatlichen «Räumen», d.h. «Public Institutions». Dazu fehlen Exkurse wie z.B. zu privaten Firmen nicht (34: «Oil Chaplaincy»). Konzeptionell und terminologisch wird von «Spiritual Care» gesprochen, nicht durchgehend, aber insbesondere für den postkommunistischen Bereich.
Die Idee der positiven, individuellen Religionsfreiheit ist dabei seit der Sattelzeit der Französischen Revolution federführend – gerade im seit 120 Jahren laizistisch geprägten Frankreich: Einem religiösen oder spirituellen Menschen soll(te) in einem «abgesonderten» Raum wie einer Kaserne, einem Gefängnis oder einem Spital die Möglichkeit zur freien Religionsausübung geboten oder die Beanspruchung seelsorgerlicher Betreuung möglich gemacht werden (z.B. 13, 39). Als Anspruchsrecht verbürgt der demokratisch-liberale Rechtsstaat diesen Zugang, für Frankreich sind bekannterweise muslimische Gläubige im Fokus.
Insbesondere in den Beiträgen zu Mitteleuropa wird deutlich, dass die Religionsfreiheit im kommunistischen Machtbereich über vierzig oder mehr Jahre keine Berücksichtigung fand. In den Jahrzehnten vom Zweiten Weltkrieg bis 1989 war die bekannte Verdrängungs- bzw. Verfolgungslogik in Religionsfragen vorherrschend, welche gerade, unmittelbar und zuerst die Seelsorge in staatlichen Institutionen betraf. «Spiritual Care in Public Institutions» kam an ein Ende. Seit den 1990er Jahre etablierten sich neue Kooperationsmodelle zwischen Kirchen bzw. Religionsgemeinschaften auf der einen wie den staatlichen Gesetzgebern auf der anderen Seite, so z.B. über die «religionsfreundliche» Polnische Verfassung von 1997 (86), sodass nun Spiritual Care einen neuen Ort fand und findet.
Im Buch wird die These vertreten, dass Spiritual Care einen essenziellen Beitrag zu einer liberal-demokratisch-partizipativen Gesellschaft leistet (37, Marc Hill QC) bzw. andersrum: Ausdruck einer solchen ist. Am Beispiel der Tschechischen Republik wird dies eindrücklich aufgezeigt. Ein Viertel des Buches ist dieser jungen Republik und ihren dynamischen Entwicklungen im Bereich der Seelsorge gewidmet (107–140). Aus dem Blickwinkel einer stärker westeuropäischen Perspektive ist es bemerkenswert, was sich in Mittel bzw. Osteuropa in letzter Zeit verdichtet getan hat. Gerade in einem juristischen staatskirchlichen Kontext entstanden und entstehen neue Kooperationsformen, ohne grosses mediales oder wissenschaftliches Echo. Dabei ist einiges im Fluss, wird kontrovers diskutiert und politisch hart ausgefochten – die jüngere Vergangen-heit wirkt auch da nach.
Neben der in verschiedenen gesetzlichen Regelungen zum Ausdruck kommenden engen christlich-ökumenischen Kooperation zeigt sich ein spezieller katalytischer Effekt, der von römisch-katholischen Konkordaten oder spezifischen Verträgen von Bischofskonferenzen in den jeweiligen Ländern ausgeht. Solche «Staat-Kirche»-Vereinbarungen, wie sie im 19. und 20. Jahrhundert eine Blüte erlebten, sind bei weitem nicht nur für die römisch-katholische Glaubensgemeinschaft bedeutsam und richtungsweisend (z.B. 95). Dies gilt jedenfalls für die im Band behandelten zentraleuropäischen Länder Österreich, Ungarn, Polen, Slowakei und die Tschechische Republik. In diesem Raum bildeten traditionell die römischkatholischen Bevölkerungsteile eine absolute bzw. relative Mehrheit. Konkordate als völkerrechtliche Verträge setzen Massstäbe, Vereinbarungen mit Bischofskonferenzen Marksteine, die aufgrund des Diskriminierungsverbotes neu nicht hintergangen werden können. Ist so die katholische Kirche, in diesem Zusammenhang, ein Motor der Religionsfreiheit?
Wenn sich, wie zu erwarten, länderspezifische Unterschiede zeigen, so kommt trotzdem zum Ausdruck, dass die betrachtete spezialisierte Seelsorge (abseits von Gemeinden, Pfarreien oder der religiösen Gemeinschaften selbst), auf einem Weg der Professionalisierung sich befindet. Interprofessionalität ist angesagt. Die Armeeseelsorge und die Gefängnisseelsorge agiert hier federführend und setzt Massstäbe. Sie scheint in den betrachteten Ländern am stärksten integriert. In beiden spiegelt sich, was staatlich und gesellschaftlich an «Integrationsmöglichkeiten» offeriert wird. Solche Art von Seelsorge wird geschätzt, weil sie einen sehr konkreten institutionellen Beitrag leistet, so z.B. Balázs Schanda, S. 78: «From the perspective of the secular state religious practice in penitentiaries, at the armed forces and at hospitals has a special value for the tranquility and the wellfunction of these institutions» (ähnliche Feststellung, 106).
Auch Krankenhausseelsorge bietet eine spezifische «Leistung» an. Sie ist aber sehr unterschiedlich aufgestellt. Rechtliche Regelungen im Gesundheitsbereich gleichen, so der Eindruck nach der Lektüre des Bandes, einem bunten Patch-Work-Teppich, gerade auch weil die Institutionen zum Teil privat geführt werden. Hier sind z.B. die vielen Einrichtungen nicht nur in Deutschland oder Österreich zu bedenken, die selbst in konfessioneller Trägerschaft sich befinden. Spirituelle Angebote sind dort mehr oder weniger fixer Bestandteil des institutionellen Alltags. Für die Situation in der Tschechischen Republik wird auch aufgezeigt, dass internationale Akkreditierungsstandards für Spiritual Care in Krankenhäusern immer wichtiger werden (107) und sich so transnationale Ebenen in der Professionalisierung sich strukturell bemerkbar machen.
Das Buch ist ein Gewinn. Über ein Raster in der Artikelstruktur stellen die Herausgeber die Vergleichbarkeit und Stringenz sicher, ohne dass Raum für je eigene Impulse und Analyse verunmöglicht wurde. Unterschiedliche Exkurse haben so gut Platz, historische Einordnungen, Anekdoten und Reminiszenzen werden ermöglicht, z. B. dass im Kommunismus die Erfahrungen mit dem totalitären Regimen Christinnen und Christen zusammengeführt hätten (119). Inhaltlich wird überzeugend die Offenheit der Seelsorge für alle sich in den Institutionen befindlichen Menschen vor Augen geführt. Das «Missionsthema» wird zudem reflektiert behandelt. Dazu zeigt sich die zunehmende Pluralisierung von Akteuren auf der Seite der Seelsorgeanbieter und wird auch aktiv favorisiert, wie mir scheint.
Publikationen wie diese helfen, sich einen Überblick in dem komplexen Feld Spiritual Care sich zu verschaffen. So wird in einer europäischen Perspektive Spiritual Care wissenschaftlich beacktert und zumindest implizit weiterentwickelt. Dies ist eine Herausforderung, weil Seelsorger einem doppelten Anforderungsprofil gerecht werden müssen: dem ihrer Gemeinschaften und dem von staatlichen Einrichtungen (42) und zudem ihre Arbeit in den Institutionen ein freiwilliges Angebot darstellt (71). Geschichtliche Hintergründe in diesem Kontext auszuleuchten, ist ebenso reizvoll, wie über rechtliche Grundlagen nachzudenken und zu sehen, wie stark diese zurzeit im Fluss sein können. Die einzelnen Autoren vermögen dies für ihre Länder überzeugend umzusetzen.

Zitierweise:
Neuhold, David: Rajmund Tretera, Jiří; Horák, Záboj (eds.): Spiritual Care in Public Institutions in Europe (Kirche & Recht, Beihefte 3), Berlin 2019. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 115, 2021, S. 486-488. Online: <https://doi.org/10.24894/2673-3641.00100>

Editors Information
Author(s)
Contributor
Additional Informations
Type
Classification
Temporal Classification
Regional Classification
Book Services
Contents and Reviews
Availability