M. Dommann u.a. (Hrsg.): Was ist neu an der New Economy?

Cover
Titel
Was ist neu an der New Economy?. Eine Spurensuche


Herausgeber
Dommann, Monika; Baumann, Anna; Schindler, Anne-Christine
Reihe
Æther 4
Erschienen
Zürich 2022: Intercomverlag
Anzahl Seiten
185 S.
von
Leo Grob

Die Take-off-Phase der digitalen Ökonomie gelangt allmählich in die Reichweite der Geschichtswissenschaft. Damit drängt sich – wie der Titel des von Monika Dommann, Anna Baumann und Anne-Christine Schindler herausgegebenen Bandes andeutet – die historiographische Aufgabe auf, die mit der «New Economy» verwobenen Fortschrittsnarrative kritisch zu hinterfragen. Dommann schickt denn auch in ihrer Einleitung voraus, dass die «New Economy» wohl besser als Mythos, als Projektionsfläche und technologisches Versprechen denn als klar abgrenzbarer, neuer Wirtschaftssektor zu verstehen ist. So weckte die Rede von der «New Economy» etwa die Erwartung an ein neues Zeitalter der vernetzten Ökonomie, an neue Arbeitsformen oder an das schnelle Geld an der Börse. Als Klammer des Bandes fungiert die Frage nach der Wirkungsgeschichte der neuen Informationstechnologie nach den Krisen der 1970er Jahre und dem Ende des Kalten Krieges. Die aus einem Forschungsseminar für Masterstudierende an der Universität Zürich hervorgegangene Publikation versammelt eine Rezension und neun empirische Fallstudien, die ein breites Spektrum historiographischer Perspektiven kombinieren – von der Stadtgeschichte über die Geschlechtergeschichte bis hin zur Unternehmensgeschichte.

Mehrere Beiträge arbeiten die Bedeutung von technologischen Autarkie-Bestrebungen und Standortwettbewerb für den Infrastrukturausbau der «New Economy» heraus. Olivier Keller beschreibt in seinem Beitrag «Draht in die Zukunft» den Aufbau eines Schweizer Glasfasernetzes durch die PTT seit dem Ende der 1970er Jahren als «technonationalistisches» Projekt, das nicht nur eine Revolution der Telekommunikation, sondern auch Chancen für die nationale Wirtschaft versprach. Für die Etablierung der Glasfaser-Technologie war nicht pure technologische Überlegenheit verantwortlich. Wichtig war ebenso, dass die «New Economy» als diskursiver Raum nationale Ambitionen im als besonders virulent wahrgenommenen «Standortwettbewerb» zu bündeln vermochte.

Standortpolitik spielte auch im Fall des Zürcher Technoparks eine Rolle, wie Dario Willi in seinem Beitrag «Zukunftsraum Technopark» zeigt. Der 1993 im Zürcher Industriequartier auf dem Fabrikareal der Sulzer-Tochter Escher Wyss eröffnete «Innovationshub» sollte den Wissenstransfer zwischen Wissenschaft, Industrie und Startups ermöglichen. Seine Planer stellten ihn als Antidot gegen Deindustrialisierung den verschärften Standortwettbewerb und die Rezession der 1990er Jahre dar. Sulzer erwirtschaftete damit in der Tat gute Profite. Das Versprechen des Konzerns den «Werkplatz Schweiz» zu erhalten, materialisierte sich hingegen nicht. Sulzer baute zwischen 1980 und 2004 95 Prozent der Arbeitsplätze in der Schweiz ab. Zurecht weist Willi auf die Zusammenhänge zwischen der virulenten Deindustrialisierung und den Versprechen der «New Economy» hin. Allerdings bricht er kaum aus den Narrativen seines – doch recht homogenen – Quellenkorpus aus. Ein sozialgeschichtliches Schlaglicht hätte die Kollateralschäden der nachgezeichneten Entwicklung sichtbar machen können und womöglich die Erfolgsgeschichte relativiert, als die das Projekt Technopark insbesondere am Ende des Beitrages erscheint.

Mit dem Imaginären der «New Economy» befassen sich die Fallstudien von Roman Fässler zur Unternehmenskultur bei IBM Schweiz und von Alessandra Biagioni zur diskursiven Produktion des Tech-Entrepreneurs. Fässler geht auf die zahlreichen Sportanlässe, Weiterbildungs- und Freizeitangebote ein, mit denen IBM seine Mitarbeitende an das Unternehmen zu binden versuchte. Das Fallbeispiel zeigt, dass IBM sich in diesem Punkt nicht von anderen Grosskonzernen unterschied. Biagioni zeigt anhand des Computermagazins Wired, welchen diskursiven Mustern die mediale Inszenierung von Tech-Entrepreneuren folgte. Zwischen 1995 und 2005 porträtierte Wired – was empirisch nicht unbegründet ist – die Tech-Unternehmer als weiss, jung und männlich. Zudem wurden die Pionierfiguren der «New Economy» als introvertierte Tech-Geeks, Eliteuni-Dropouts und technolibertäre Weltverbesserer dargestellt. Wie die Autorin luzid feststellt, steht diese sozio-ökonomische Typisierung in auffallendem Kontrast zum meritokratischen Ethos des Silicon Valley, wo race, class und gender vermeintlich keine Rolle spielen.

Einen vielversprechenden Ansatz, den man als gendering digitization bezeichnen könnte, verfolgt Anna Baumann in ihrem Beitrag über das 1995 erschienene multimediale Lehrmittel ProNet. Dieses von Gleichstellungsbeauftragten initiierte und vom Bund finanzierte Projekt war eine Antwort auf die Umwälzungen der Qualifikationsprofile auf dem Arbeitsmarkt. Denn die Gleichstellungsbüros befürchteten, dass Frauen den technologischen Anschluss und dadurch ihre employability im digitalen Kapitalismus verlieren könnten. Gleichstellungsbeauftragte übernahmen dabei eine Brückenfunktion zwischen staatlichen Programmen zur Förderung des nationalen Humankapitals einerseits und den Interessen aufstrebender, gut ausgebildeter Frauen andererseits. Daran zeigt sich, so Baumann, dass die Partizipationschancen in der digitalen Ökonomie mit der Geschlechter- und der Klassenfrage verschränkt waren.

In ihrem ideengeschichtlichen Beitrag «Cyborgs vs. Bienen» stellt Anne-Christine Schindler Donna Haraways techno-feministisches Cyborg-Konzept und Kevin Kelleys rechtslibertäre Vorstellung des hive mind gegenüber. Beide Autor:innen nutzen biologisierende Netzwerkmetaphern, um das neuartige Verschmelzen von Mensch und Maschine in einer computervermittelten Netzwerkgesellschaft einzufangen. Während der Cyborg bei Haraway allerdings dazu dient, die politischen Möglichkeiten fluider Subjekte auszuloten, dient Kelleys hive mind dazu, Unternehmen und Märkte zu biologisieren und dadurch zu entpolitisieren.

Unternehmens- und wirtschaftshistorische Perspektiven nehmen die drei Beiträge von Niklaus Remund, Marlon Rusch und Albert Gubler ein. In seinem informativen Beitrag zeigt Remund, wie sich die zunehmende Automatisierung und die Liberalisierungs-tendenzen seit den 1980er Jahren auf die PTT auswirkten: Von einem arbeitsintensiven Betrieb wurde die Postlogistik zu einem kapitalintensiven und stärker zentralisierten Netzwerk umgebaut, was zu Filialschliessungen, Personalabbau und einer Dequalifizierung von Postmitarbeitenden führte. Der Autor liefert damit ein eindrückliches Beispiel für das Powerplay der Unternehmer-Seite gegen die Arbeiter:innenschaft, das die mikroelektronische Innovationen sowie Liberalisierung- und Austeritätspolitiken in den 1980er und 1990er Jahren beförderten.

Marlon Ruschs Beitrag beleuchtet den Erfolg eines Startups der Gaming-Industrie dank Crowd-Investing. Allerdings bleibt der Autor sehr nahe an den UnternehmensQuellen und kommt daher kaum über die Erfolgsgeschichte der Firmengründer hinaus. In seinem Beitrag «Werbung 2.0» zeichnet Gubler den zögerlichen Aufstieg der Onlinewerbung zwischen 1994 und 2010 nach. Auftraggeber:innen und Werbeagenturen reagierten anfangs nur langsam auf die neuen Werbepotentiale des Internets, während Printmedien ihr angestammtes Geschäftsmodell nur ungern konkurrenziert sahen. Der Durchbruch kam laut dem Autor nach 2006: schnelleres Internet dank Breitbandanschluss, ein Branchenverband, zudem Internet-TV und Soziale Medien sorgten für ein exponentielles Wachstum der – nun personalisierbaren – Online-Werbung.

Die Fallstudien in diesem Band zeigen einige vielversprechende, durchaus richtungsverschiedene Wege auf, die eine Geschichte der «New Economy» gehen kann. Für solche Explorationen in noch wenig erschlossene Forschungslandschaften belegt der Band zudem das Potential studentischer Recherchen. Auch wenn es nicht allen Beiträgen gänzlich gelingt, hinter die Fortschrittsnarrative der «New Economy» zu gelangen und man sich des Öfteren einen Blick auf die Forschung jenseits der Schweiz wünschen mag, bleibt es das Verdienst des Bandes, das Feld für die kommende Forschung zu eröffnen.

Zitierweise:
Leo Grob: Rezension zu: Monika Dommann, Anna Baumann, Anne-Christine Schindler (Hg.), Was ist neu an der New Economy? Eine Spurensuche, Zürich 2021 (Æther, Bd. 4). Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 72 (3), 2022, S. 498-500. Online: <https://doi.org/10.24894/2296-6013.00114>.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 72 (3), 2022, S. 498-500. Online: <https://doi.org/10.24894/2296-6013.00114>.

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