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In den Fokus gerieten dabei die wirtschaftlichen Kooperationen ebenso wie die unterschiedlichen und oft ambivalenten Haltungen in Politik, Verwaltung und Gesellschaft. Bemerkenswert ist, dass das Feld der Wissenschaft lange Zeit keine entsprechende Aufarbeitung erfuhr. Während mittlerweile zu fast allen der 23 Universitäten, die im Jahr 1933 in Deutschland bestanden, umfangreiche Arbeiten zu ihrer Geschichte im „Dritten Reich“ vorliegen, ist die Geschichte der acht Universitäten und der Wissenschaften insgesamt in der Schweiz während der NS-Zeit erst ansatzweise erforscht. Dies ist insofern erstaunlich, als die wissenschaftlichen Verflechtungen zwischen der Schweiz und Deutschland enorm eng waren. In jüngster Zeit haben Forschungen dieses Desiderat jedoch vermehrt adressiert – dazu gehört auch die gründliche Studie zur Universität Basel, verfasst von Christian Simon. Fünfzehn Jahre hat der Historiker an der fast 900-seitigen Monografie gearbeitet und dabei eine beeindruckende Anzahl unterschiedlicher Archivquellen ausgewertet – von sämtlichen Fakultätsprotokollen bis zu Nachlässen von einzelnen Personen. Die Studie untersucht, wie die Universität auf die NS-Diktatur reagierte, wie ihre Fakultäten, Professoren und Studierenden das neue Regime, dessen Wissenschaftspolitik und die von ihm entfesselte Gewalt wahrnahmen und welche Beziehungen sie zu Institutionen und Forschenden in NS-Deutschland pflegten. Die Studie fokussiert damit auf die Angehörigen der Universität Basel, ihre Einstellungen und Handlungsweisen, in den Blick bringt sie aber auch das Spannungsverhältnis zwischen Wissenschaft und Politik. Basel ist diesbezüglich ein interessanter Fall. Seit 1935 verfügte die Linke in Regierung und Parlament über eine Mehrheit und zwischen 1919 und 1941 war der Sozialdemokrat Fritz Hauser als Vorsteher des Erziehungsdepartements für die Universitätspolitik zuständig. Die Professorenschaft, die – wie an anderen Schweizer Universitäten auch – politisch nach rechts tendierte, nahm dieses „rote Basel“ vorwiegend als Gefahr für die Autonomie der Universität wahr. Wie die Studie herausarbeitet, beeinflusste diese Konstellation auch den Umgang mit den Vorgängen und Institutionen im nationalsozialistischen Deutschland. Während die Politik Distanzierungen forderte, tat sich die Universität selbst mit vorsichtig formulierter Kritik schwer. Die Professorenschaft setzte mehrheitlich auf enge Beziehungen zum Nachbarland und legitimierte ausbleibende Abgrenzungen mitunter mit den Idealen einer neutralen und unabhängigen Wissenschaft. Die Monografie ist entlang der Fakultäten und Disziplinen strukturiert. Damit ähnelt sie vielen Darstellungen von deutschen Universitäten während der NS-Zeit, die sich oft in voluminöser Form auf die Geschichten der einzelnen Institute und Fakultäten konzentrieren.[1] Dieser Struktur entgegen stehen indes die zwei ersten Kapitel. Das erste arbeitet empirisch sorgfältig die Haltungen und Positionierungen der Studierendenschaft heraus. Das zweite Kapitel ist den Einladungen zu den deutschen Universitätsjubiläen gewidmet, die das NS-Regime als Propagandaveranstaltungen nutzte. Hier zeigt sich exemplarisch, wie sich die Basler Regierung gegen die Universität durchsetzen konnte. Während alle anderen Schweizer Universitäten etwa an der 550-Jahr-Feier in Heidelberg (1936) teilnahmen, mussten die Basler Professoren auf Beschluss der Regierung der Feier fernbleiben, was Universität und bürgerliche Parteien als politische Einflussnahme kritisierten. Alle darauffolgenden Kapitel sind den fünf Fakultäten gewidmet, die wiederum in Unterkapitel zu den einzelnen Disziplinen unterteilt sind. Die Gewichtung wirkt dabei beliebig. Während etwa die geisteswissenschaftliche Fakultät auf 329 Seiten dargestellt wird, fallen auf die grösste Fakultät, die medizinische, nur gerade 37 Seiten. Wiedergegeben und untersucht wird in diesen Kapiteln in erster Linie die Sichtweise der Basler Professoren. Demgegenüber hätte man sich – auch angesichts der beiden gehaltvollen Kapitel 1 und 2 – mehr fakultätsübergreifende Ausführungen gewünscht. Vor allem hätte der Umgang mit der erzwungenen Wissenschaftsmigration ein eigenes Kapitel verdient, wobei hier verstärkt auch die Stimmen der vertriebenen Wissenschaftler hätten einbezogen werden können. Insgesamt arbeitet die Studie eine Vielfalt von Einstellungen und Handlungsweisen unter der Professorenschaft heraus, die von offenen Sympathien für den Nationalsozialismus bis zu deutlich ablehnenden Äusserungen reichten, wie sie besonders gehäuft in der theologischen Fakultät vorkamen. Gemäss Simon sind Vorstellungen einer unpolitischen Universität dominant gewesen, die aber – wie der Autor zu Recht feststellt – „sehr politisch“ (S. 754) sein konnten, weil sie eine Politik des Wegschauens begünstigten und enge Beziehungen zu Deutschland zu legitimieren halfen. Die Studie weist zudem nach, wie weitverbreitet ein latenter bis rabiater Antisemitismus sowohl in der Studierenden- als auch in der Professorenschaft war. Dabei zeigt sich, dass dieser akademische Antisemitismus nicht einfach einem „Zeitgeist“ entsprach, sondern politisch umkämpft war: So bemühte sich Regierungsrat Hauser bisweilen durchaus erfolgreich darum, diesen einzudämmen. Um zu erklären, warum sich die Universität Basel nicht stärker oppositionell zum Nationalsozialismus verhielt, macht Simon vor allem strukturelle Gründe geltend. Seine These lautet, dass die Basler Universität die Position der Peripherie gegenüber den deutschen Wissenschaftszentren eingenommen hat. Dieses Abhängigkeitsverhältnis habe wesentlich die Möglichkeitsräume bestimmt, innerhalb derer Basler Universitätsangehörige wissenschaftlich tätig gewesen seien. Zwar hält der Autor einleitend fest, damit sei keine absolute Abhängigkeit gemeint, sondern eine asymmetrische Beziehung, „aus der beide Seiten einen Gewinn zogen“ (S. 20). In den weiteren Ausführungen kommt diese Gegenseitigkeit indessen nur selten zum Ausdruck. Stattdessen wird das Peripherie-Zentrum-Verhältnis häufig als statische Beziehung dargestellt, mit einer geradezu determinierenden Wirkung. So ist zum Beispiel wiederholt von einer „Gefangenschaft“ in der Peripherie die Rede (S. 747, S. 755) und dementsprechend wird etwa die Nutzung deutscher Kommunikationskanäle als einzige Möglichkeit interpretiert, um den Abstieg in die akademische Bedeutungslosigkeit zu verhindern (S. 137). An einer Stelle ist sogar von einer „alternativlosen Notwendigkeit“ (S. 731) die Rede, an der deutschen Wissenschaftskommunikation zu partizipieren. Das ist nicht plausibel, zumal sich in der Studie selbst Gegenbeispiele finden: Der jüdische Chemiker Tadeusz Reichstein, der seit 1938 eine Professur in Basel besetzte, war vom deutschen Kommunikationssystem ausgeschlossen. 1950 erhielt er für seine Forschungen den Nobelpreis, versank also keineswegs in der Bedeutungslosigkeit. Wenig thematisiert wird zudem, wie sehr auch die deutsche Seite an engen Beziehungen zu Schweizer Wissenschaften interessiert war, weil Internationalität eine zentrale Ressource für die wissenschaftliche Aussenpolitik des Nationalsozialismus darstellte.[2] Auffallend ist, dass die Studie kaum Bezug nimmt zu neueren Forschungen der Schweizer Wissenschaftsgeschichte: So tauchen einige der jüngeren Arbeiten nicht einmal in den Fussnoten auf.[3] Dies ist insofern bedauerlich, als diese neue Forschung die Perspektiven erweitert hat. Erstens bezieht sie vermehrt auch die deutschen (und andere) Interessen sowie die unterschiedlichen disziplinären Erwartungen in die Analyse der schweizerischen Wissenschaftsbeziehungen mit ein, zweitens richtet sie ihren Blick über die Zäsuren von 1933 und 1945 hinaus und drittens untersucht sie neben den deutsch-schweizerischen auch wissenschaftliche Beziehungen zu anderen Nationen und Imperien. Insgesamt hätte ein stärkerer Bezug zu diesen neueren Studien erlaubt, das Peripherie-Zentrum-Verhältnis dynamischer zu konzipieren. So wurde an Beispielen wie der Volkskunde, der Genetik oder der Anthropologie gezeigt, wie zum einen Handlungsspielräume bei der wissenschaftlichen Netzwerkbildung bestanden und wie zum andern die Rollen von Peripherien und Zentren keineswegs immer eindeutig verteilt und im Wandel begriffen waren. Trotz dieser Kritikpunkte stellt Simons Studie eine Bereicherung für die Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte in der Schweiz dar. Sie erhellt Wechselwirkungen zwischen Wissenschaft und Politik und arbeitet die Vielfalt von akademischen Haltungen und Reaktionsweisen auf den Nationalsozialismus differenziert heraus. Letztere referierten zwar mitunter auf ähnliche epistemische Wertvorstellungen, speisten sich aber aus heterogenen disziplinären Traditionen und Geistesströmungen und können mit üblichen Labeln wie der „geistigen Landesverteidigung“ nur ungenügend beschrieben werden. Aufgrund der Berücksichtigung aller Disziplinen und der klaren Struktur eignet sich die Monografie auch als Nachschlagewerk, das für die weitere Forschung von grossem Wert ist. Anmerkungen: [1] Michael Grüttner, Universitäten in der nationalsozialistischen Diktatur. Stand der Forschung, in: Livia Prüll / Christian George / Frank Hüther (Hrsg.), Universitätsgeschichte schreiben. Inhalte – Methoden – Fallbeispiele, Göttingen 2019, S. 102. [2] Vgl. etwa: Sheila F. Weiss, The Nazi Symbiosis. Human Genetics and Politics in the Third Reich, Chicago 2010. [3] So etwa: Silvia Bolliger, Im Zeichen der Nationalisierung. Die Haltung der Universität Zürich gegenüber ausländischen Studierenden in der Zwischenkriegszeit, Köln 2019; Konrad J. Kuhn, Netzwerke, Identitätspolitik und ein Abgrenzungsnarrativ. Zur Wissensgeschichte der Beziehungen zwischen der „völkischen“ und der Schweizer Volkskunde, in: Zeitschrift für Volkskunde 113 (1), 2017, S. 42–63; Pascal Germann, Laboratorien der Vererbung. Rassenforschung und Humangenetik in der Schweiz, 1900–1970, Göttingen 2016; Patrick Kupper / Bernhard C. Schär (Hg.), Die Naturforschenden. Auf der Suche nach Wissen über die Schweiz und die Welt, 1800–2015, Baden 2015." 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Die Frage geht davon aus, dass die Veränderungen der politischen Verhältnisse im für Basel wichtigen Nachbarland eine Herausforderung bedeuteten und sich die Frage stellte, in welchem Mass die übliche universitäre Kooperation weitergepflegt oder eingefroren werden sollte. Die Fragestellung ist indes anspruchsvoller als es den Anschein macht, und sie wird über die ausgelösten Erwartungen hinaus angegangen und abgehandelt. Es wird über weite Strecken ein kenntnisreicher Überblick über die Entwicklung des Wissenschaftsverständnisses in der erfassten Zeit gegeben, und es wird insbesondere aufgezeigt, wie die Korporation der Professorenschaft gleichsam mit sich selbst umging. Das Verhalten war in hohem Mass von der angenommenen und tatsächlichen Abhängigkeit bestimmt, in der man sich einer peripheren Lage gegenüber den deutschen Wissenschaftszentren befand beziehungsweise fühlte. Obwohl im Untertitel die klassischen Randdaten 1933–1945 angegeben werden, setzen die Abklärungen in manchen Fällen sogar vor dem Ersten Weltkrieg ein und gehen über den Zweiten Weltkrieg hinaus. Vergleichsweise einfach zu erfassen waren für den Autor die Basler Reaktionen etwa auf die Einladung zum Heidelberger Universitätsjubiläum von 1936: Während auf Seiten der Universität eine Teilnahme trotz der zu erwartenden Instrumentalisierung der Feier durch den nationalsozialistischen Machtapparat eine den traditionellen Gepflogenheiten verpflichte Selbstverständlichkeit war oder gewesen wäre, sprach sich die von der Linken dominierte politische Oberaufsicht dagegen aus und untersagte diese Teilnahme (S. 107–123). Viel anspruchsvoller war und ist die Abklärung der verschiedenen, im Zeitraum von 1933–1945 eingenommenen Haltungen des Lehrkörpers und der Studierenden. Selbstverständlich wird auch darauf geachtet, inwiefern sich die Haltungen in der Zeit von 1933–1945 verändert haben, von der anfänglichen Verkennung des verbrecherischen Charakters des Regimes bis hin zu den «mutigeren» Distanzierungen gegen Ende des Kriegs. Erklärtes Ziel der Grossuntersuchung ist die Abklärung der zwischen der deutschschweizerischen Peripherie und den verschiedenen deutschen Zentren durch Freundschaften, wissenschaftliche Kommunikationswege und Bildungsverbundenheit gepflegten Beziehungen (S. 44). Zu unterscheiden ist, ob sich diese Beziehungen wie in den meisten Fällen ohne inhaltliche Konzessionen «bloss» auf Tagungsbeteiligungen und Publikationen in deutschen Verlagen beschränkt haben oder ob es dabei auch zu inhaltlichen Übereinstimmungen und Kooperationen gekommen ist. Trotz ihrer Breite erheben diese Abklärungen keinen Anspruch auf Vollständigkeit und konzentrieren sich, den verfügbaren Quellen entsprechend, auf Exemplarisches. Kernstück der Abklärungen (S. 139–728) bilden die nach Fakultäten und Fächern in historischer Abfolge, also von der Theologie bis zu den Naturwissenschaften, zusammengetragenen Befunde zum Verhalten einzelner Universitätsangehöriger, die, mit Ausnahme der Slawistin Elsa Mahler, alle männlich waren. Die breit angelegte, systematisch durchgeführte und faktendichte Untersuchung zeigt erwartungsgemäss beides, Reaktionen der Anpassung wie Reaktionen des Widerstands in vielen Schattierungen. Abgesehen vom Interesse für die Frage, wer sich wann wie positioniert hat, kann man sich bei der Lektüre auch fragen, ob bestimmte Fächer mehr oder weniger anfällig für eine dem Nationalsozialismus entgegenkommende Haltung waren. Es könnte kein Zufall gewesen sein, dass die entschiedenste Ablehnung («Resistenz» in der Begrifflichkeit des Autors, S. 45, 53) bei den Theologen festgestellt werden konnte. 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Im Kapitel zur juristischen Fakultät findet sich auch ein Abschnitt zum Juristen, Wehrwissenschaftler und Offizier Gustav Däniker, der mit seiner NS-freundlichen Einstellung gesamtschweizerische Bekanntheit erlangte. Seine politische Nähe zum Frontismus bildete – bezeichnenderweise – kein Hindernis bei seiner Ernennung zum Ehrendozenten für Militärwissenschaft 1938/39. Der Versuch, ihm 1941 nach dem Bekanntwerden seiner nazifreundlichen Denkschrift den Lehrauftrag zu entziehen, scheiterte – wiederum bezeichnenderweise – an den rechtlichen Voraussetzungen und konnte dann aber trotz gleich gebliebener, schwieriger Rechtslage bei Kriegsende schliesslich doch verwirklicht werden. (S. 244–251). Die Abklärungen kommen zum wenig erwarteten Schluss, dass die am stärksten verbreitete Haltung die der Nichtreaktion war. Im Gegensatz zu heute tendenziell wohl bestehenden Erwartungen äusserte sich die Universität nicht dezidiert zum Nationalsozialismus und erbrachte auch keine energische Unterstützung seiner Opfer. Die Studie gibt über die Ausgangsfrage hinaus Einblick in das Funktionieren einer bürgerlichen Universität. Simon deutet die Universität einleuchtend als eine Körperschaft, die vor allem nach Regeln der Kollegialität und der Einhaltung akademischer Regeln funktionierte und sich von der Vorstellung einer politikfreien Wissenschaft leiten liess. Als übergreifende Schlussfolgerungen präsentiert Simon drei Thesen (S. 753 f.): Erstens, dass universitäre Gremien gar nicht fähig waren (und sind?), politische oder weltanschauliche Verantwortung in Themenbereichen zu übernehmen, die über den traditionellen Rahmen hinausgehen. Zweitens, dass die akademische Integration ein mühsam errungenes Ergebnis war, das nicht durch das Aufgreifen unpassender Themen gefährdet werden durfte. Und drittens, dass die Betonung des Unpolitischen in einen Gegensatz zum lokalen Kontext der Universität (Regierung, Parlament, politische Öffentlichkeit) geriet, der ein engagierteres Einstehen für die durch den Nationalsozialismus gefährdeten Werte erwartete. Diese Differenz zwischen der bürgerlich dominierten Universität und der staatlichen Trägerschaft mit linker Mehrheit nahm nach 1935 zwar zu, sie beschränkte sich aber auf Einzelfälle und führte nie zu sich zuspitzenden Konflikten. Der Autor kommt zum Schluss, dass die Basler Universitätsgeschichte von 1933 bis 1945 weitgehend unspektakulär verlaufen sei. Das vielleicht wirklich Spektakuläre habe in der meist friedlich-freundlichen Koexistenz zwischen der freiheitlichen, schweizerischen Peripherie und den deutschen Zentren, die sich den Erwartungen eines totalitären Regimes unterwarfen, bestanden. 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Simon: An der Peripherie des nazifizierten deutschen Hochschulsystems | infoclio - Rezensionen

C. Simon: An der Peripherie des nazifizierten deutschen Hochschulsystems

Cover
Titel
An der Peripherie des nazifizierten deutschen Hochschulsystems. Zur Geschichte der Universität Basel 1933–1945


Autor(en)
Simon, Christian
Reihe
Studien zur Geschichte der Wissenschaften in Basel. Neue Folge 11
Erschienen
Basel 2022: Schwabe Verlag
Anzahl Seiten
878 S.
Preis
CHF 98.00
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Pascal Germann, Institut für Medizingeschichte, Universität Bern

Die Beziehungen der Schweiz zum nationalsozialistischen Deutschland sind seit den 1980er-Jahren intensiv erforscht worden. In den Fokus gerieten dabei die wirtschaftlichen Kooperationen ebenso wie die unterschiedlichen und oft ambivalenten Haltungen in Politik, Verwaltung und Gesellschaft. Bemerkenswert ist, dass das Feld der Wissenschaft lange Zeit keine entsprechende Aufarbeitung erfuhr. Während mittlerweile zu fast allen der 23 Universitäten, die im Jahr 1933 in Deutschland bestanden, umfangreiche Arbeiten zu ihrer Geschichte im „Dritten Reich“ vorliegen, ist die Geschichte der acht Universitäten und der Wissenschaften insgesamt in der Schweiz während der NS-Zeit erst ansatzweise erforscht. Dies ist insofern erstaunlich, als die wissenschaftlichen Verflechtungen zwischen der Schweiz und Deutschland enorm eng waren. In jüngster Zeit haben Forschungen dieses Desiderat jedoch vermehrt adressiert – dazu gehört auch die gründliche Studie zur Universität Basel, verfasst von Christian Simon.

Fünfzehn Jahre hat der Historiker an der fast 900-seitigen Monografie gearbeitet und dabei eine beeindruckende Anzahl unterschiedlicher Archivquellen ausgewertet – von sämtlichen Fakultätsprotokollen bis zu Nachlässen von einzelnen Personen. Die Studie untersucht, wie die Universität auf die NS-Diktatur reagierte, wie ihre Fakultäten, Professoren und Studierenden das neue Regime, dessen Wissenschaftspolitik und die von ihm entfesselte Gewalt wahrnahmen und welche Beziehungen sie zu Institutionen und Forschenden in NS-Deutschland pflegten. Die Studie fokussiert damit auf die Angehörigen der Universität Basel, ihre Einstellungen und Handlungsweisen, in den Blick bringt sie aber auch das Spannungsverhältnis zwischen Wissenschaft und Politik.

Basel ist diesbezüglich ein interessanter Fall. Seit 1935 verfügte die Linke in Regierung und Parlament über eine Mehrheit und zwischen 1919 und 1941 war der Sozialdemokrat Fritz Hauser als Vorsteher des Erziehungsdepartements für die Universitätspolitik zuständig. Die Professorenschaft, die – wie an anderen Schweizer Universitäten auch – politisch nach rechts tendierte, nahm dieses „rote Basel“ vorwiegend als Gefahr für die Autonomie der Universität wahr. Wie die Studie herausarbeitet, beeinflusste diese Konstellation auch den Umgang mit den Vorgängen und Institutionen im nationalsozialistischen Deutschland. Während die Politik Distanzierungen forderte, tat sich die Universität selbst mit vorsichtig formulierter Kritik schwer. Die Professorenschaft setzte mehrheitlich auf enge Beziehungen zum Nachbarland und legitimierte ausbleibende Abgrenzungen mitunter mit den Idealen einer neutralen und unabhängigen Wissenschaft.

Die Monografie ist entlang der Fakultäten und Disziplinen strukturiert. Damit ähnelt sie vielen Darstellungen von deutschen Universitäten während der NS-Zeit, die sich oft in voluminöser Form auf die Geschichten der einzelnen Institute und Fakultäten konzentrieren.1 Dieser Struktur entgegen stehen indes die zwei ersten Kapitel. Das erste arbeitet empirisch sorgfältig die Haltungen und Positionierungen der Studierendenschaft heraus. Das zweite Kapitel ist den Einladungen zu den deutschen Universitätsjubiläen gewidmet, die das NS-Regime als Propagandaveranstaltungen nutzte. Hier zeigt sich exemplarisch, wie sich die Basler Regierung gegen die Universität durchsetzen konnte. Während alle anderen Schweizer Universitäten etwa an der 550-Jahr-Feier in Heidelberg (1936) teilnahmen, mussten die Basler Professoren auf Beschluss der Regierung der Feier fernbleiben, was Universität und bürgerliche Parteien als politische Einflussnahme kritisierten.

Alle darauffolgenden Kapitel sind den fünf Fakultäten gewidmet, die wiederum in Unterkapitel zu den einzelnen Disziplinen unterteilt sind. Die Gewichtung wirkt dabei beliebig. Während etwa die geisteswissenschaftliche Fakultät auf 329 Seiten dargestellt wird, fallen auf die grösste Fakultät, die medizinische, nur gerade 37 Seiten. Wiedergegeben und untersucht wird in diesen Kapiteln in erster Linie die Sichtweise der Basler Professoren. Demgegenüber hätte man sich – auch angesichts der beiden gehaltvollen Kapitel 1 und 2 – mehr fakultätsübergreifende Ausführungen gewünscht. Vor allem hätte der Umgang mit der erzwungenen Wissenschaftsmigration ein eigenes Kapitel verdient, wobei hier verstärkt auch die Stimmen der vertriebenen Wissenschaftler hätten einbezogen werden können.

Insgesamt arbeitet die Studie eine Vielfalt von Einstellungen und Handlungsweisen unter der Professorenschaft heraus, die von offenen Sympathien für den Nationalsozialismus bis zu deutlich ablehnenden Äusserungen reichten, wie sie besonders gehäuft in der theologischen Fakultät vorkamen. Gemäss Simon sind Vorstellungen einer unpolitischen Universität dominant gewesen, die aber – wie der Autor zu Recht feststellt – „sehr politisch“ (S. 754) sein konnten, weil sie eine Politik des Wegschauens begünstigten und enge Beziehungen zu Deutschland zu legitimieren halfen. Die Studie weist zudem nach, wie weitverbreitet ein latenter bis rabiater Antisemitismus sowohl in der Studierenden- als auch in der Professorenschaft war. Dabei zeigt sich, dass dieser akademische Antisemitismus nicht einfach einem „Zeitgeist“ entsprach, sondern politisch umkämpft war: So bemühte sich Regierungsrat Hauser bisweilen durchaus erfolgreich darum, diesen einzudämmen.

Um zu erklären, warum sich die Universität Basel nicht stärker oppositionell zum Nationalsozialismus verhielt, macht Simon vor allem strukturelle Gründe geltend. Seine These lautet, dass die Basler Universität die Position der Peripherie gegenüber den deutschen Wissenschaftszentren eingenommen hat. Dieses Abhängigkeitsverhältnis habe wesentlich die Möglichkeitsräume bestimmt, innerhalb derer Basler Universitätsangehörige wissenschaftlich tätig gewesen seien. Zwar hält der Autor einleitend fest, damit sei keine absolute Abhängigkeit gemeint, sondern eine asymmetrische Beziehung, „aus der beide Seiten einen Gewinn zogen“ (S. 20). In den weiteren Ausführungen kommt diese Gegenseitigkeit indessen nur selten zum Ausdruck. Stattdessen wird das Peripherie-Zentrum-Verhältnis häufig als statische Beziehung dargestellt, mit einer geradezu determinierenden Wirkung. So ist zum Beispiel wiederholt von einer „Gefangenschaft“ in der Peripherie die Rede (S. 747, S. 755) und dementsprechend wird etwa die Nutzung deutscher Kommunikationskanäle als einzige Möglichkeit interpretiert, um den Abstieg in die akademische Bedeutungslosigkeit zu verhindern (S. 137). An einer Stelle ist sogar von einer „alternativlosen Notwendigkeit“ (S. 731) die Rede, an der deutschen Wissenschaftskommunikation zu partizipieren. Das ist nicht plausibel, zumal sich in der Studie selbst Gegenbeispiele finden: Der jüdische Chemiker Tadeusz Reichstein, der seit 1938 eine Professur in Basel besetzte, war vom deutschen Kommunikationssystem ausgeschlossen. 1950 erhielt er für seine Forschungen den Nobelpreis, versank also keineswegs in der Bedeutungslosigkeit. Wenig thematisiert wird zudem, wie sehr auch die deutsche Seite an engen Beziehungen zu Schweizer Wissenschaften interessiert war, weil Internationalität eine zentrale Ressource für die wissenschaftliche Aussenpolitik des Nationalsozialismus darstellte.2

Auffallend ist, dass die Studie kaum Bezug nimmt zu neueren Forschungen der Schweizer Wissenschaftsgeschichte: So tauchen einige der jüngeren Arbeiten nicht einmal in den Fussnoten auf.3 Dies ist insofern bedauerlich, als diese neue Forschung die Perspektiven erweitert hat. Erstens bezieht sie vermehrt auch die deutschen (und andere) Interessen sowie die unterschiedlichen disziplinären Erwartungen in die Analyse der schweizerischen Wissenschaftsbeziehungen mit ein, zweitens richtet sie ihren Blick über die Zäsuren von 1933 und 1945 hinaus und drittens untersucht sie neben den deutsch-schweizerischen auch wissenschaftliche Beziehungen zu anderen Nationen und Imperien. Insgesamt hätte ein stärkerer Bezug zu diesen neueren Studien erlaubt, das Peripherie-Zentrum-Verhältnis dynamischer zu konzipieren. So wurde an Beispielen wie der Volkskunde, der Genetik oder der Anthropologie gezeigt, wie zum einen Handlungsspielräume bei der wissenschaftlichen Netzwerkbildung bestanden und wie zum andern die Rollen von Peripherien und Zentren keineswegs immer eindeutig verteilt und im Wandel begriffen waren.

Trotz dieser Kritikpunkte stellt Simons Studie eine Bereicherung für die Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte in der Schweiz dar. Sie erhellt Wechselwirkungen zwischen Wissenschaft und Politik und arbeitet die Vielfalt von akademischen Haltungen und Reaktionsweisen auf den Nationalsozialismus differenziert heraus. Letztere referierten zwar mitunter auf ähnliche epistemische Wertvorstellungen, speisten sich aber aus heterogenen disziplinären Traditionen und Geistesströmungen und können mit üblichen Labeln wie der „geistigen Landesverteidigung“ nur ungenügend beschrieben werden. Aufgrund der Berücksichtigung aller Disziplinen und der klaren Struktur eignet sich die Monografie auch als Nachschlagewerk, das für die weitere Forschung von grossem Wert ist.

Anmerkungen:
1 Michael Grüttner, Universitäten in der nationalsozialistischen Diktatur. Stand der Forschung, in: Livia Prüll / Christian George / Frank Hüther (Hrsg.), Universitätsgeschichte schreiben. Inhalte – Methoden – Fallbeispiele, Göttingen 2019, S. 102.
2 Vgl. etwa: Sheila F. Weiss, The Nazi Symbiosis. Human Genetics and Politics in the Third Reich, Chicago 2010.
3 So etwa: Silvia Bolliger, Im Zeichen der Nationalisierung. Die Haltung der Universität Zürich gegenüber ausländischen Studierenden in der Zwischenkriegszeit, Köln 2019; Konrad J. Kuhn, Netzwerke, Identitätspolitik und ein Abgrenzungsnarrativ. Zur Wissensgeschichte der Beziehungen zwischen der „völkischen“ und der Schweizer Volkskunde, in: Zeitschrift für Volkskunde 113 (1), 2017, S. 42–63; Pascal Germann, Laboratorien der Vererbung. Rassenforschung und Humangenetik in der Schweiz, 1900–1970, Göttingen 2016; Patrick Kupper / Bernhard C. Schär (Hg.), Die Naturforschenden. Auf der Suche nach Wissen über die Schweiz und die Welt, 1800–2015, Baden 2015.

Redaktion
Veröffentlicht am
06.02.2024
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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit infoclio.ch (Redaktionelle Betreuung: Eliane Kurmann und Philippe Rogger). http://www.infoclio.ch/
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