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Mit «sie» sind junge Autorinnen und Autoren von Tagebüchern aus der Zeit nach 1900 gemeint. Selbstzeugnisse und Ego-Dokumente wie Briefe, Verhörprotokolle oder eben Tagebücher haben sich in den letzten Jahrzehnten als äusserst ergiebige Quelle der Kulturgeschichte erwiesen. Während das Hauptaugenmerk der Forschung auf der Frühen Neuzeit und dem 19. Jahrhundert liegt, ist das frühe 20. Jahrhundert bisher wenig erforscht. Diese Lücke zu verkleinern, hilft die gründlich recherchierte und elegant verfasste Studie, die auf einer 2018 an der Universität Basel eingereichten Habilitationsschrift beruht. Inspiriert von Andreas Reckwitz Arbeiten zur neuzeitlichen Subjektivität arbeitet Bänziger anhand von 110 Tagebüchern von jungen Männern und Frauen aus dem gesamten deutschsprachigen Raum heraus, wie sich die «Selbstverhältnisse» (S. 14) in der longue durée zwischen 1840 und 1940 veränderten. Der Fokus auf die Diarist:innen unter dreissig Jahren ist in erster Linie pragmatisch bedingt, weil junge Menschen zu den fleissigsten Tagebuchschreiber:innen gehörten. Ein Beitrag zu Geschichte der Jugend strebt der Autor allerdings nicht an. Bänziger geht es in erster Linie darum, anhand der Tagebücher des frühen 20. Jahrhunderts die «erlebnisorientierte Subjektkultur» (S. 17) herauszuarbeiten. Zu diesem Zweck geht er nach einer vorbildlich verfassten Einleitung in den ersten drei Kapiteln ausführlich auf verschiedene Subjektkulturen des 19. Jahrhunderts ein, von denen sich die «Erlebnisorientierung» (S. 17) nach 1900 unterschied. Trotz der eher ungünstigen Quellenlage, ist Bänziger bemüht, auch Handwerker, Arbeiter:innen sowie Dienstbotinnen zu Wort kommen zu lassen. Insgesamt dominieren jedoch Zeugnisse bürgerlicher Akteur:innen, die sich selbst im Spiegel der Tugenden von Arbeitsamkeit und Mässigung reflektieren. Richtungsweisend für Bänziger ist in diesem Zusammenhang das Konzept des «bürgerliche[ n] Wertehimmel[s]» von Manfred Hettling und Stefan-Ludwig Hoffmann.[1] Richtig Fahrt nimmt die Studie in Kapitel IV auf, das die Rahmenbedingungen der modernen Konsum- und Arbeitsgesellschaft rekonstruiert. Überzeugend plädiert Bänziger dafür, dass stets die Veränderungen in der Produktion und in der Konsumation sowie in der Arbeits- und der Freizeit berücksichtigt werden müssen. Nur so lasse sich die Genese der erlebnisorientierten Subjektkultur adäquat fassen. Die Sterne am neuen Wertehimmel waren die Nation, der (Gross-)Betrieb und die (Klein‐)Familie. In diesen Institutionen und Imaginationen war die neue Subjektkultur aufgehoben. Bänziger ist es ein grosses Anliegen darzulegen, dass diese neue Konstellation nicht nur eine Folge oder Weiterentwicklung bürgerlicher Praktiken und Wertvorstellungen war. In Anlehnung an die Thesen von Jan de Vries und Rudolf Braun insistiert er, dass die Konsumwünsche der vermehrt mit Kaufkraft ausgestatteten ‹kleinen› Leute nicht einfach als Nachahmung des bürgerlichen Geschmacks verstanden werden dürfen. Vielmehr gründeten diese zumindest teilweise auf durchaus eigenständigen ästhetischen und moralischen Vorstellungen, auf die die Fabrikanten und Anbieter von Waren und Dienstleistungen zu reagieren wussten. Tendenziell war die Moderne nach 1900 in Bezug auf die Schicht- und Klassenzugehörigkeit weit weniger exklusiv als die bürgerliche Gesellschaft des 19. Jahrhunderts. Wenn es dennoch eine idealtypische Gruppe gab, dann waren es die Angestellten, die in mittelgrossen oder Grossstädten lebten. Kapitel V beinhaltet den innovativen Kern der Studie. Insbesondere die Abhandlungen zu den Tagebüchern eines Kartografen und einer Tänzerin geben faszinierende Einblicke in die kulturelle Praxis des Erlebens im Berlin der Jahrhundertwende. Im Gegensatz zu den bürgerlichen Diarist:innen des 19. Jahrhunderts, strebten diese Tagebuchschreibenden nicht mehr danach, etwas Besonderes zu werden, sondern möglichst viele aufregende Varieté-Abende, Sportveranstaltungen oder Ferien zu erleben. Auch die Arbeit sollte in erster Linie Spass bringen und Freude bereiten. Die Erlebnisorientiertheit drückte sich auch in der Medialität des Tagebuchs aus, wie Bänziger souverän und gewinnbringend in Kapitel VI aufzeigt. Während im bürgerlichen Tagebuch der vom Bildungsroman beeinflusste biografische Stil vorherrschte, diente das «Erlebnistagebuch» (S. 375) in erster Linie dem expressionistischen Festhalten individueller Erlebnisse in der Arbeits- und Freizeit. Bänzigers Konzepte der erlebnisorientierte Subjektkultur und des Erlebnistagebuchs überzeugen und werden die künftigen Forschungen, die sich für das Handeln, Denken und Fühlen der Menschen in der Moderne interessieren, mit Sicherheit beeinflussen und befruchten. Einzig der Ausarbeitung der neuen Subjektkultur hätte mehr Platz eingeräumt werden können. Die umfangreichen Abhandlungen zum 19. Jahrhundert, die grösstenteils den Forschungsstand stützen und nur punktuell Ergänzungen und Korrekturen liefern, hätten zudem komprimiert werden können. Eine stärkere Fokussierung auf die Tagebücher nach 1900 hätte es wohl ermöglicht, weitere Facetten der erlebnisorientierter Subjektivität genauer zu beleuchten. So etwa die Wahrnehmung und Abhandlung von Krieg, Nationalismus und Nationalsozialismus, die erst im Schlusswort und eher ausweichend angesprochen werden. Gerade weil Bänziger die Nation als wichtigen Eckpunkt der neuen Arbeits- und Konsumgesellschaft nach 1900 hervorhebt, wäre eine intensiviere Auseinandersetzung mit dieser Thematik naheliegend. 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Er sieht in der deutschsprachigen Gesellschaftsgeschichte zwei grundlegende Narrative: Sie konzipieren die vergangenen zwei Jahrhunderte entweder als Entwicklung der Arbeits- und Industriegesellschaft oder als Herausbildung von Massen-Konsumgesellschaften. Angesichts der offenkundigen Grenzen beider Ansätze schlägt Bänziger ein neues Paradigma vor: die „Konsum- _und_ Arbeitsgesellschaft“. Er sieht im 19. Jahrhundert eine zunehmende „Komplementarität von produktiver Arbeit und konsumorientiertem Vergnügen“ (S. 13) entstehen. Um ca. 1900 voll ausgebildet, veränderte dies die Leitvorstellungen und Praxismuster der Menschen gegenüber Arbeit wie Freizeit und formte die neue Konstellation der „Konsum- und Arbeitsgesellschaft“. Angelehnt insbesondere an Überlegungen von Andreas Reckwitz[1], betrachtet Bänziger die Herausbildung einer neuen Subjektkultur in den Jahrzehnten um 1900 quasi als transformative Schlüsselgröße. Die Studie operationalisiert dieses Konzept, indem sie zweierlei in den Fokus rückt: zum einen „Leitvorstellungen“ und „Identifikationsangebote“ als „Richtlinien und Wertvorstellungen […], an denen die Menschen ihr Handeln […] ausrichten“; zum anderen die Praktiken und „Handlungsroutinen, über die kulturelle Codes unser Tun, Fühlen und Denken grundlegend strukturieren“ (S. 13). Der Titelbegriff der Moderne verweist nicht auf Modernisierungstheorien. Er dient Bänziger vielmehr dazu, die Charakterisierung einzelner Entwicklungen als beispielsweise bürgerlich oder unterschichtlich geprägt zu vermeiden. Er betont die „Diskontinuitäten“ (S. 198) in der Entwicklung; die Konsum- und Arbeitsgesellschaft sei nicht so sehr aus Traditionen bestimmter sozialer Gruppen herzuleiten, sondern stelle vielmehr etwas qualitativ Neues (eben Modernes) dar, das bürgerliche Personen wie abhängig Beschäftigte gleichermaßen veränderte und teilweise auch schichtübergreifend annäherte (so etwa S. 194). Faktisch läuft das darauf hinaus, Erklärungsangebote wie „Verbürgerlichung“ oder „Nachahmung oberschichtlicher Lebensformen“ grundlegend in Frage zu stellen. Dagegen wird mehrfach neben anderen unterbürgerlichen Gruppen „der Einfluss der einfachen Arbeiterinnen und Arbeiter und ihrer Erfahrungen“ (S. 15) betont, der in die Lebensformen und Selbstsichten der Konsum- und Arbeitsgesellschaft eingeflossen sei. Familienorientierung etwa sei nicht nur im Bürgertum des 19. Jahrhunderts ein wesentlicher Referenzpunkt gewesen, sondern gleichzeitig auch im Industrieproletariat. „Die arbeiterliche Gefühlsgemeinschaft funktionierte schlicht anders als die bürgerliche Familie.“ (S. 76) Soweit die theoretischen Eckpunkte. Bänziger belegt und konkretisiert seine Thesen mit der Auswertung von Tagebüchern und vergleichbaren Texten über die Zeitspanne von 1840 bis 1940. Die Quellen decken das soziale Spektrum jeweils ungefähr ab; das bekannte Problem der fehlenden Materialien aus der Arbeiterschaft betrifft auch die von Bänziger genutzten Bestände. Er füllt die Lücke teilweise mit Auswandererbriefen; ansonsten vertreten vor allem diaristische Texte von Handwerkern, Haushaltspersonal und männlichen wie weiblichen Angestellten die nichtbürgerliche Perspektive. Auswahlkriterium war die „Verallgemeinerbarkeit“, die Typizität der vertretenen Lebensform (S. 25). Die O-Töne werden kontextualisiert und interpretiert mithilfe einschlägiger historischer Studien – wobei allerdings das Potenzial alltagsgeschichtlicher Forschungen zur Entwicklung der Lebensweisen von Arbeiterinnen und Arbeitern nicht ausgeschöpft wird.[2] Thematisch verfolgt die Studie zwei durchgehende Linien: die Einstellungen zu Arbeit und Leistung einerseits, den Umgang mit Freizeit und Vergnügungen andererseits. Das geschieht in sechs Kapiteln, die den Untersuchungszeitraum in etwa chronologisch abdecken, jeweils zur Hälfte vor und nach der Jahrhundertwende. Die Schwerpunkte wechseln dabei. Das erste Kapitel fokussiert Alltage, die quer durch die soziale Schichtung vom Wirtschaften innerhalb eines familiären Bezugsfeldes geprägt wurden. Anschließend wird herausgearbeitet, wie sich bürgerliche Alltage an den Geboten allgemeiner Arbeitsamkeit (innerhalb wie außerhalb formeller Arbeitsverhältnisse) und der Mäßigung in Arbeit wie Vergnügung orientierten. Das individuelle Leistungsethos, für Teile der Forschung ein Grundelement des bürgerlichen Wertehimmels, kann Bänziger in seinen Quellen interessanterweise nicht entdecken. Von hier aus fragt die Studie im dritten Kapitel, wie sich im späten 19. Jahrhundert die „arbeitsbezogenen Praktiken und Leitvorstellungen der Unterklassen“ (S. 26) entwickelten. Während unter Bediensteten eine Diffusion bürgerlicher Vorstellungen möglich war, verwandelte sich das handwerkerlich-wirtschaftsbürgerliche Produktethos im Zeitalter der Großindustrie in ein abstrakteres „Produktionsethos“. Das erwies sich als „leichter anschlussfähig für ein erfolgs- beziehungsweise ergebnisorientiertes Leistungsdenken“ und wurde so auch von Teilen der Arbeiter- und Angestelltenschaft vertreten (S. 26). Nach 1900 zählte es, so Bänziger, zu den übergreifenden Elementen der Subjektkultur in der Konsum- und Arbeitsgesellschaft. Deren bestimmende normative Rahmungen untersucht das vierte Kapitel. Zunächst wird gegenüber einigen Ansätzen der Konsumgeschichtsschreibung belegt, dass die Lohnabhängigen „nicht nur bezüglich des Arbeitsethos, sondern auch im Zusammenhang mit Vergnügen und Genusspraktikern nicht einfach bürgerliche oder aristokratische Vorbilder nachahmten. 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Im fünften Kapitel geht es dann zentral um die Erlebnisorientierung, verstanden als „eine spezifische Form der Ästhetisierung des Alltagslebens durch die Orientierung an Glück, Spaß und Genuss und eine Relativierung des bürgerlichen Handlungsmusters der aufgeschobenen Befriedigung.“ Es setzte sich die Bewertung von Ereignissen und Dingen anhand ihrer „emotionale[n] Qualität und Intensität“ sowie ihrer Eignung zur Abwechslung durch (S. 17). Diese Einstellung bildete laut Bänziger eine „subjektkulturelle Klammer“, die gleichermaßen in Berufsarbeit wie Freizeit Anlässe und Befriedigung fand. Ob diese Gleichrangigkeit der Erlebnissphären zutrifft und wie sie sich zu Gerhard Schulzes „Projekt des schönen Lebens“[3] verhält, auf das Bänziger sich bezieht, wird vermutlich noch diskutiert werden. Die These, dass Erlebnisorientierung zentral in der Subjektkultur der Konsum- und Arbeitsgesellschaft sei, wird jedenfalls eindrucksvoll unterstützt durch das letzte Kapitel, das das diaristische Material medienhistorisch betrachtet. Hier geht es nicht um die Inhalte der Texte, sondern um Schreibweise und Materialität der Tagebücher. Diese wandeln sich, griffig formuliert, aus biographischen Aufzeichnungen in „Erlebnistagebücher“. Zum geschriebenen Wort treten farbige Ornamente und Zeichnungen, Postkarten, Zeitungsausschnitte und Eintrittskarten. Ein zunehmend emotionaler, informeller und assoziativer Stil macht das Schreiben selbst, so die plausible Interpretation, zur „Praktik der Erlebnisproduktion“ (S. 368). Insgesamt präsentiert Bänziger ein starkes Argument für das „Zusammenführen von Perspektiven der Arbeits- und der Konsumgeschichtsschreibung“ (S. 385). Mit der Erlebnisorientierung bietet er ein produktives Konzept an, um wesentliche Tendenzen der Subjektkulturen des 20. und 21. Jahrhunderts herauszuarbeiten. Seine Definition von „Erlebnis“ bleibt allerdings recht offen; Stichworte wie „Alltagsästhetisierung“ und „schönes Leben“ (Gerhard Schulze) weisen auf Forschungslinien hin, die hier zukünftig mit Gewinn heranzuziehen wären.[4] Das Buch ist klar auf die tragenden Thesen hin formuliert; regelmäßige Zusammenfassungen halten den roten Faden präsent. Zugleich profitieren die Leser/innen von den anschaulichen, aussagekräftigen Quellenbelegen, die Anregungen weit über die Kernthemen hinaus bieten. Mit ihren Argumenten für eine kulturanalytisch informierte Forschung, die neben den Traditionen von Bürgerlichkeit die Rolle der „Massen“ Lohnabhängiger in der Geschichte der „Konsum- und Arbeitsgesellschaft“ untersucht, empfiehlt sich die Studie hervorragend als Grundlagenlektüre im Feld der Gesellschaftsgeschichte. Anmerkungen: [1] Andreas Reckwitz, Das hybride Subjekt. Eine Theorie der Subjektkulturen von der bürgerlichen Moderne zur Postmoderne, Weilerswist 2006. [2] Vgl. etwa Dieter Langewiesche, Zur Freizeit des Arbeiters. Bildungsbestrebungen und Freizeitgestaltung österreichischer Arbeiter im Kaiserreich und in der Ersten Republik, Stuttgart 1980; Dietrich Mühlberg / Autorenkollektiv, Arbeiterleben um 1900, Ost-Berlin 1983; Lisa Kosok, Arbeiterfreizeit und Arbeiterkultur im Ruhrgebiet. Eine Untersuchung ihrer Erscheinungsformen und Wandlungsprozesse. 1850–1914, Diss. Univ. Bochum 1989; dies. / Mathilde Jamin (Hrsg.), Viel Vergnügen. Öffentliche Lustbarkeiten im Ruhrgebiet der Jahrhundertwende, Essen 1992; Lynn Abrams, Worker's Culture in Imperial Germany. Leisure and Recreation in the Rhineland and Westphalia, London 1992; Bernd Jürgen Warneken, Die Ethnographie popularer Kulturen, Wien 2006; Kaspar Maase, Popular Culture, in: Matthew Jefferies (Hrsg.), The Ashgate Research Companion to Imperial Germany, Farnham 2015, S. 209–224. [3] Vgl. Gerhard Schulze, Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart, Frankfurt am Main 1992. [4] Vgl. etwa Mike Featherstone, Postmodernism and the aestheticization of everyday life, in: Scott Lash / Jonathan Friedman (Hrsg.), Modernity and Identity, Oxford 1992, S. 265–290; Andreas Reckwitz, Die Erfindung der Kreativität. Zum Prozess gesellschaftlicher Ästhetisierung, Berlin 2012; Joachim Fischer, Ästhetisierung der Gesellschaft oder Ästhetiksoziologie. Zu einer realistischen Theorie moderner Gesellschaft, in: Aida Bosch / Hermann Pfütze (Hrsg.), Ästhetischer Widerstand gegen Zerstörung und Selbstzerstörung, Wiesbaden 2018, S. 505–517." 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Bänziger: Moderne als Erlebnis | infoclio - Rezensionen

P.-P. Bänziger: Moderne als Erlebnis

Cover
Titel
Die Moderne als Erlebnis. Eine Geschichte der Konsum- und Arbeitsgesellschaft, 1840–1940


Autor(en)
Bänziger, Peter-Paul
Erschienen
Göttingen 2020: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
456 S.
Preis
€ 34,90
von
Maurice Cottier, Historisches Institut, Universität Bern

«Sie wollten erleben, nicht nach Höherem streben» (S. 385). So fasst Peter-Paul Bänziger seine Befunde zur modernen Subjektkultur der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts prägnant zusammen. Mit «sie» sind junge Autorinnen und Autoren von Tagebüchern aus der Zeit nach 1900 gemeint. Selbstzeugnisse und Ego-Dokumente wie Briefe, Verhörprotokolle oder eben Tagebücher haben sich in den letzten Jahrzehnten als äusserst ergiebige Quelle der Kulturgeschichte erwiesen. Während das Hauptaugenmerk der Forschung auf der Frühen Neuzeit und dem 19. Jahrhundert liegt, ist das frühe 20. Jahrhundert bisher wenig erforscht. Diese Lücke zu verkleinern, hilft die gründlich recherchierte und elegant verfasste Studie, die auf einer 2018 an der Universität Basel eingereichten Habilitationsschrift beruht.

Inspiriert von Andreas Reckwitz Arbeiten zur neuzeitlichen Subjektivität arbeitet Bänziger anhand von 110 Tagebüchern von jungen Männern und Frauen aus dem gesamten deutschsprachigen Raum heraus, wie sich die «Selbstverhältnisse» (S. 14) in der longue durée zwischen 1840 und 1940 veränderten. Der Fokus auf die Diarist:innen unter dreissig Jahren ist in erster Linie pragmatisch bedingt, weil junge Menschen zu den fleissigsten Tagebuchschreiber:innen gehörten. Ein Beitrag zu Geschichte der Jugend strebt der Autor allerdings nicht an.

Bänziger geht es in erster Linie darum, anhand der Tagebücher des frühen 20. Jahrhunderts die «erlebnisorientierte Subjektkultur» (S. 17) herauszuarbeiten. Zu diesem Zweck geht er nach einer vorbildlich verfassten Einleitung in den ersten drei Kapiteln ausführlich auf verschiedene Subjektkulturen des 19. Jahrhunderts ein, von denen sich die «Erlebnisorientierung» (S. 17) nach 1900 unterschied. Trotz der eher ungünstigen Quellenlage, ist Bänziger bemüht, auch Handwerker, Arbeiter:innen sowie Dienstbotinnen zu Wort kommen zu lassen. Insgesamt dominieren jedoch Zeugnisse bürgerlicher Akteur:innen, die sich selbst im Spiegel der Tugenden von Arbeitsamkeit und Mässigung reflektieren. Richtungsweisend für Bänziger ist in diesem Zusammenhang das Konzept des «bürgerliche[ n] Wertehimmel[s]» von Manfred Hettling und Stefan-Ludwig Hoffmann.1

Richtig Fahrt nimmt die Studie in Kapitel IV auf, das die Rahmenbedingungen der modernen Konsum- und Arbeitsgesellschaft rekonstruiert. Überzeugend plädiert Bänziger dafür, dass stets die Veränderungen in der Produktion und in der Konsumation sowie in der Arbeits- und der Freizeit berücksichtigt werden müssen. Nur so lasse sich die Genese der erlebnisorientierten Subjektkultur adäquat fassen. Die Sterne am neuen Wertehimmel waren die Nation, der (Gross-)Betrieb und die (Klein‐)Familie. In diesen Institutionen und Imaginationen war die neue Subjektkultur aufgehoben. Bänziger ist es ein grosses Anliegen darzulegen, dass diese neue Konstellation nicht nur eine Folge oder Weiterentwicklung bürgerlicher Praktiken und Wertvorstellungen war. In Anlehnung an die Thesen von Jan de Vries und Rudolf Braun insistiert er, dass die Konsumwünsche der vermehrt mit Kaufkraft ausgestatteten ‹kleinen› Leute nicht einfach als Nachahmung des bürgerlichen Geschmacks verstanden werden dürfen. Vielmehr gründeten diese zumindest teilweise auf durchaus eigenständigen ästhetischen und moralischen Vorstellungen, auf die die Fabrikanten und Anbieter von Waren und Dienstleistungen zu reagieren wussten. Tendenziell war die Moderne nach 1900 in Bezug auf die Schicht- und Klassenzugehörigkeit weit weniger exklusiv als die bürgerliche Gesellschaft des 19. Jahrhunderts. Wenn es dennoch eine idealtypische Gruppe gab, dann waren es die Angestellten, die in mittelgrossen oder Grossstädten lebten.

Kapitel V beinhaltet den innovativen Kern der Studie. Insbesondere die Abhandlungen zu den Tagebüchern eines Kartografen und einer Tänzerin geben faszinierende Einblicke in die kulturelle Praxis des Erlebens im Berlin der Jahrhundertwende. Im Gegensatz zu den bürgerlichen Diarist:innen des 19. Jahrhunderts, strebten diese Tagebuchschreibenden nicht mehr danach, etwas Besonderes zu werden, sondern möglichst viele aufregende Varieté-Abende, Sportveranstaltungen oder Ferien zu erleben. Auch die Arbeit sollte in erster Linie Spass bringen und Freude bereiten.

Die Erlebnisorientiertheit drückte sich auch in der Medialität des Tagebuchs aus, wie Bänziger souverän und gewinnbringend in Kapitel VI aufzeigt. Während im bürgerlichen Tagebuch der vom Bildungsroman beeinflusste biografische Stil vorherrschte, diente das «Erlebnistagebuch» (S. 375) in erster Linie dem expressionistischen Festhalten individueller Erlebnisse in der Arbeits- und Freizeit.

Bänzigers Konzepte der erlebnisorientierte Subjektkultur und des Erlebnistagebuchs überzeugen und werden die künftigen Forschungen, die sich für das Handeln, Denken und Fühlen der Menschen in der Moderne interessieren, mit Sicherheit beeinflussen und befruchten. Einzig der Ausarbeitung der neuen Subjektkultur hätte mehr Platz eingeräumt werden können. Die umfangreichen Abhandlungen zum 19. Jahrhundert, die grösstenteils den Forschungsstand stützen und nur punktuell Ergänzungen und Korrekturen liefern, hätten zudem komprimiert werden können. Eine stärkere Fokussierung auf die Tagebücher nach 1900 hätte es wohl ermöglicht, weitere Facetten der erlebnisorientierter Subjektivität genauer zu beleuchten. So etwa die Wahrnehmung und Abhandlung von Krieg, Nationalismus und Nationalsozialismus, die erst im Schlusswort und eher ausweichend angesprochen werden. Gerade weil Bänziger die Nation als wichtigen Eckpunkt der neuen Arbeits- und Konsumgesellschaft nach 1900 hervorhebt, wäre eine intensiviere Auseinandersetzung mit dieser Thematik naheliegend. Ebenfalls interessant wäre es zu erfahren, wie einschneidende Lebensereignisse wie Liebesbeziehungen, Eheschliessungen, Scheidungen oder berufliche Auf- oder Abstiege in den Ereignistagebüchern dokumentiert wurden. Griffen die Diarist:innen hierfür auf ältere bürgerliche Skripts zurück oder entwarfen Sie auch hierfür neue – möglicherweise hybride – Erzählmodi? Diese Einwände und Fragen belegen aber im Grunde nur den anregenden Charakter der vorliegenden Studie, deren Lektüre sehr zu empfehlen ist.

Anmekrung:
1 Manfred Hettling, Stefan-Ludwig Hoffmann (Hg.), Der bürgerliche Wertehimmel. Innenansichtendes 19. Jahrhunderts, Göttingen 2000.

Zitierweise:
Cottier, Maurice: Rezension zu: Bänziger, Peter-Paul: Die Moderne als Erlebnis. Eine Geschichte der Konsum- und Arbeitsgesellschaft, 1840–1940, Göttingen 2020. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 71 (3), 2021, S. 541-543. Online: <https://doi.org/10.24894/2296-6013.00093>.

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