J. Lang: Demokratie in der Schweiz

Cover
Titel
Demokratie in der Schweiz. Geschichte und Gegenwart


Autor(en)
Lang, Josef
Erschienen
Baden 2020: hier + jetzt, Verlag für Kultur und Geschichte
Anzahl Seiten
224 S.
Preis
CHF 39,00; € 39,00
von
Thomas Metzger, Fachstelle Demokratiebildung und Menschenrechte, Pädagogische Hochschule St. Gallen

Josef Langs 300 Jahre umfassende Analyse der Geschichte der Demokratie in der Schweiz ist seit ihrem Erscheinen im Frühling 2020 bereits auf einiges Interesse gestossen. Dies durchaus zurecht, liefert die Analyse des Historikers doch ein prägnantes Narrativ, mündet in pointierte Aussagen und bereichert die Demokratieforschung. Das von Lang als «Geschichtsbuch» deklarierte Werk (S. 13) beinhaltet letztlich auch eine politische Dimension. Zum einen hängt dies mit einer gewissen normativen Stossrichtung zusammen, die im Buch wiederholt durchscheint und Optimierungsbedarf für die schweizerische Demokratie postuliert. Zum anderen werden die Ausführungen aufgrund der politischen Biografie des Autors, der sich als Parlamentarier auf lokaler, kantonaler und nationaler Ebene einen Namen machte und sich stark in sozialen Bewegungen engagiert, wohl auch politisch gelesen.

Die Geschichte der schweizerischen Demokratie segmentiert Lang in griffige Phasen, die in inhaltlich-chronologisch geprägte Unterkapitel ausdifferenziert werden. Das im historischen Präsens verfasste Buch ist flüssig geschrieben, auch wenn es stellenweise etwas mäandert. Argumentativer Ausgangspunkt ist für den Autor der Zeitraum von 1861 bis 1874, den er als grossen «Sprung nach vorn» etikettiert. Dieser Zeitraum stellt für ihn eine Schlüsselphase dar und bildet einen Referenzpunkt für die späteren Ausführungen. Getragen von den Zürcher Demokraten, radikalen Kulturkämpfern und dem Grütliverein verdichteten sich in dieser Zeit Reformbestrebungen, die letztlich in die Totalrevision der Bundesverfassung von 1874 mündeten. An dieses Schlüsselkapitel anschliessend, zeichnen mehrere Teile die Linien hin zu dieser Totalrevision nach respektive beleuchten die nachgängigen Entwicklungen. Gut greifbar werden dabei das spannungsgeladene Verhältnis zwischen starker Partizipation und scharfer Ausgrenzung. Der Ausbau der Demokratie, folgt man Lang, sei nach 1874 ins Stocken gekommen, ja es habe sogar Rückschritte gegeben.

Langs Analyse folgt einem klaren Narrativ: Für den Untersuchungszeitraum sind zeitgleich zwei unterschiedliche Freiheits- und Demokratieverständnisse wirkmächtig, die zueinander in Konkurrenz stehen. Ein durch die Aufklärung geprägtes, liberales, individualistisch ausgerichtetes «mechanistisches» Verständnis steht einem älteren, traditionalistisch-antiliberal ausgerichteten «organizistischen» Verständnis gegenüber, welches die Bedeutung von Kollektiven wie etwa Kantone, Konfessionen oder Berufsstände ins Zentrum rückt und Freiheit als exklusives Privileg denkt. Die beiden Demokratieverständnisse macht Lang an der Frontstellung Konservatismus versus Liberalismus und Radikalismus fest. Eine pluralistische, inklusive, liberal ausgeprägte Demokratie als anzustrebendes Ziel vor Augen – in der Darstellung kommt in diesem Zusammenhang eine gewisse Fortschrittssemantik zum Einsatz –, nimmt Lang ein Oszillieren zwischen «mechanistischen» und «organizistischen» Tendenzen wahr, das sich in konjunkturellen Schwankungen zwischen progressiven und konservativ-restaurativen Phasen abbildet. Als eigentliche Motoren für die Gleichheit fördernde Veränderungen würden dabei soziale Bewegungen und somit nicht verfestigte Parteiengebilde fungieren. Als Denkfigur bietet dieses Narrativ Einiges. So konterkariert es beispielsweise das etablierte Konkordanznarrativ, das die Herausbildung einer Vielparteienregierung als Harmoniegeschichte konstruiert. Durch seine normativen Elemente liefert das Buch jedoch auch Angriffsflächen.

In seinen Ausführungen präsentiert das Buch sowohl grosse Linien wie auch eine Fülle an Fallbeispielen, was die Lektüre gewinnbringend macht. Auf drei inhaltliche Stärken sei besonders verwiesen: Erstens vermag das Narrativ Langs die Widersprüchlichkeit von im internationalen Vergleich hoher Partizipation bei gleichzeitiger Exklusion zuerhellen. Letzteres zeigt er schlüssig an der Frage der Gleichberechtigung der Jüdinnen und Juden in der Schweiz auf. Diese stellte einen der zentralen Konfliktpunkte im Widerstreit der unterschiedlichen Demokratieverständnisse dar. Folge davon war die sehr späte Gleichberechtigung im Jahre 1874, die mit der Annahme der Schächtverbotsinitiative 1893, die nota bene erst durch den Ausbau der direkten Demokratie 1891 möglich geworden war, eine erneute Einschränkung erfuhr. Spannend ist zweitens die Bezugnahme Langs auf das Konzept sozialer Bewegungen. In solchen ausserparteilichen politischen Bewegungen erkennt er dynamisierende Elemente für die Demokratie. Dabei wird allerdings ein enges Verständnis sozialer Bewegungen offenbart, indem eine egalitäre Stossrichtung als Charakteristikum vorausgesetzt wird. Die dargestellten Gruppierungen sind denn auch prädominant progressiver Natur. In diesen Kontext ist drittens auch die Schwerpunktsetzung im Bereich der Frauenemanzipation zu stellen, auf die mehrfach fokussiert wird. Gerade in der Frauenbewegung sieht Lang eine Haupttreiberin der Überwindung autoritärer Verkrustungen zur Zeit der Geistigen Landesverteidigung während des Kalten Krieges. Zusammen mit der Klimabewegung macht er an der Frauenbewegung auch die Motoren der von ihm postulierten «Wende von 2019» fest, die den Abstieg des Rechtspopulismus in der Schweiz eingeläutet habe; eine These, die aufgrund der starken Gegenwartsnähe etwas voreilig erscheinen mag.

Letztendlich sind es auch gerade die hier skizzierten Inhalte, die das Buch sehr lesenswert machen. Gleichzeitig darf aber auf eine Lücke hingewiesen werden: Die Analyse der internationalen Verflechtungen bleibt marginal. Dort, wo solche angetönt werden, ist sie inspirierend – so etwa die Bedeutung der Solidaritätsbewegung zugunsten der USA nach dem Bürgerkrieg für die Demokratisierungsbewegung in der Schweiz während den 1860er Jahren. Die stärkere Öffnung des Blicks für die internationale Dimension könnte Langs These der beschleunigten Veränderung ab den 1970er Jahren weiter erhärten.

Zitierweise:
Metzger, Thomas: Rezension zu: Lang, Josef: Demokratie in der Schweiz. Geschichte und Gegenwart, Baden 2020. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 71 (3), 2021, S. 540-541. Online: <https://doi.org/10.24894/2296-6013.00093>.

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