U. Altermatt: Der schweizerische Bundesrat 1848–1875

Cover
Titel
Vom Unruheherd zur stabilen Republik. Der schweizerische Bundesrat 1848–1875. Teamplayer, Schattenkönige und Sesselkleber


Autor(en)
Altermatt, Urs
Erschienen
Zürich 2020: NZZ Libro
Anzahl Seiten
357 S.
von
Sebastian Brändli

«Ist es das jetzt?» Ist das vorliegende Buch nun endlich das «opus magnum» des Freiburger Bundesratsspezialisten Urs Altermatt, der seit über 30 Jahren zum obersten Exekutivorgan des schweizerischen Bundesstaates forscht und publiziert? Diese Frage ist mit Jein zu beantworten, denn einerseits versucht das zu rezensierende Werk die historische und politische Quintessenz des Bundesrates zu fassen – eine gute Vorbedingung für ein letztes abschliessendes Werk –, anderseits weist nur schon die terminliche Einschränkung im Untertitel auf die Jahre 1848–1875 auf die Chance hin, einen zweiten oder gar dritten Band zum gleichen Thema zu erwarten (was Seite 357 als letzter Satz des ganzen Werks auch angeführt wird: «Für 2021 ist vorgesehen, dass Urs Altermatt die Periode von 1874–1919 zur Darstellung bringt.») Mit weiteren Publikationen ist also zu rechnen.

Was bringt der Band? Der erste Text, als «Vorwort» überschrieben, macht zunächst einen aktuellen Bezug zur Rolle des Bundesrates während der Corona-Seuche 2020, bietet dann einen Überblick über bisher entstandene Publikationen im Bundesratsprojekt und skizziert in einer sehr kurzen Form das Vorhaben: Aufzeigen von «Kontinuitäten und Wandlungen des Bundesrates während der Anfangsperiode des Bundesstaates von 1848 bis 1874/75 im diachronen Zeitverlauf» (S. 11 f.). Dem folgt ein «Einführung» genannter, analytischer Text mit den wichtigsten Eigenschaften und Spezifika des schweizerischen direkt-demokratischen Regierungssystems mit einer Kollegialregierung als Exekutive. Dabei werden streng politologische Fragen mit Fragen der Wahrnehmung des Kollegialorgans durch Bevölkerung, Medien und Wissenschaft gemischt: Entstanden ist eine farbige Skizzierung der Besonderheiten des Schweizer Modells. Selbstverständlich wird auch hervorgehoben, dass zwar viele Bücher zu Bundesräten und speziellen Fragen bestünden, aber «keine systematische Bundesratsgeschichte» (S. 25).

Es folgen fünf mehr oder minder chronologische Kapitel über die Schaffung der Bundesbehörden, über die «wilden 1850er-Jahre», über die Suche nach Stabilität während der 1860er Jahre, über die Jahre der ersten Bundesverfassungsrevision mit ihren Konflikten sowie über die «Wende von 1874/75»: alle materialreich, im Detail oft schon bekannt, aber dennoch im Zusammenhang mit der Zielsetzung der Studie sinnvoll und argumentativ. Dazu gehören beispielsweise die Ausführungen zur Problematik des «Freisinns» als «freisinnige Grossfamilie» (Gruner), bei der der Autor auch reumütig bekennt, während der vergangenen 30 Jahren dazugelernt zu haben, weshalb er fortan auf den Begriff «FDP» als Parteienbezeichnung für die ersten Jahrzehnte des Bundesstaates verzichten will. Wer das Buch inklusive der Fussnoten liest, ist erstaunt, wie oft die im seinerzeitigen Lexikon-Projekt mitwirkenden Autor*innen wiederholt werden können; eine Sammelanmerkung mit Verweis darauf an anderer Stelle hätte genügt. Es kommt aber auch zum Ausdruck, dass aus dem grossen Projekt andere anregende Publikationen wie zum Beispiel jene von Rolf Holenstein über Bundesrat Ochsenbein entstanden sind.

Das Schlusskapitel «Der Bundesrat als nationales Scharnier – eine Bilanz» fasst auf 20 Seiten zusammen und setzt einige eigene Akzente. Dass dabei auch Bekanntes wiederholt wird, liegt auf der Hand. Auch sind nicht alle Schlüsse, die der Autor zieht, wirklich neu. Die unikale Position und Ausgestaltung des Bundesrates ist längst bekannt, und selbstverständlich darf die Staats- und Regierungsgründung als «politisches Wunder» bezeichnet werden (S. 250). Doch eben, andere haben dies – etwas säkularer – auch schon ausgedrückt. Eigenständiger sind für mich allerdings die Ausführungen zur spezifischen Rolle des Bundesrates als «Klammer der Nation», wo die grundsätzliche Problematik des Bundesstaates mit seinen diversen föderalen, sprachlichen und konfessionellen Spannungen im Zentrum steht und mit der Rolle des kollegialen Systems in Verbindung gebracht wird. Dabei kommen auch mehrfach Sichtweisen der im Sonderbundskrieg unterlegenen Kräfte zum Ausdruck, interessant vor allem die Analysen des Luzerner Nationalrates Philipp Anton Segesser, den Altermatt gut in die Gegenwart überträgt. Ein eigentliches Fazit seiner Studie bleibt der Autor dem Leser indessen schuldig – weshalb gegen Ende auch ein Ausblick auf die nächste Periode der «Erosion der Liberalen» eingefügt wird. Gegeben ist damit auch der Anschluss an die angekündigte nächste Publikation.

Zitierweise:
Brändli, Sebastian: Rezension zu: Altermatt, Urs: Vom Unruheherd zur stabilen Republik. Der schweizerische Bundesrat 1848–1875. Teamplayer, Schattenkönige und Sesselkleber, Zürich 2020. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 71 (3), 2021, S. 538-539. Online: <https://doi.org/10.24894/2296-6013.00093>.

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