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Jahrhundert Tausende Kinder und Jugendliche – oftmals gegen den Willen der Eltern – in Pflegefamilien oder stationären Einrichtungen unter. Mirjam Janett untersucht im vorliegenden Buch diese behördliche Praxis der Fremdplatzierung am Beispiel der Kantone Basel-Stadt und Appenzell Innerrhoden. Den Untersuchungszeitraum bildet dabei die Phase zwischen 1945 und 1980. Janett identifiziert einleitend die Entwicklung des Vormundschaftswesens in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert als Forschungsdesiderat (S. 11), im Fazit spricht sie davon, dass ihre Studie „[e]rstmals […] die Fremdplatzierungspraxis in der Schweiz nach 1945 in den Blick" nimmt (S. 256). Diese Feststellung ist mittlerweile überholt, gerade auch aufgrund des interdisziplinären und hochschulübergreifenden Sinergia-Projekts des Schweizerischen Nationalfonds _Placing Children in Care_[1], in dessen Rahmen auch Janetts Dissertation, die diesem Buch zugrunde liegt, eingebettet war. Im Kontext dieses Projekts und weiterer Forschungen erschien in den vergangenen Jahren eine größere Anzahl Publikationen zur Geschichte der Fremdplatzierung in der Schweiz, die sich auch auf die zweite Jahrhunderthälfte beziehen.[2] Selbst wenn das den Pionieranspruch dieses Buchs schmälert, lohnt sich seine Lektüre. Janett fokussiert, wie bereits angesprochen, die behördliche Fremdplatzierungspraxis. Sie verortet diese Praxis im größeren Kontext des sich ausdifferenzierenden Schweizer Sozialstaats (S. 7) und versteht ihre Studie als Beitrag zu einer umfassenderen historischen Sozialstaatsforschung (S. 8–10). Ihre Arbeit verfolgt insofern „einen komparatistischen Zugang", als sie „zwei lokale Aushandlungsräume" analysiert und vergleicht: „den protestantischen, städtischen Kanton Basel-Stadt und den katholischen, ländlich gelegenen, voralpinen Kanton Appenzell Innerrhoden" (S. 10f.). Die beiden Kantone „sollen hinsichtlich ihrer Gemeinsamkeiten und Unterschiede in ihrer administrativen Praxis untersucht und im breiteren Kontext der Kinder- und Jugendfürsorge verortet werden" (S. 13). Die Grundlage bilden dabei kantonale Behördenakten, administrative Quellen, Amtsdruckschriften, Fachliteratur zur Kinder- und Jugendfürsorge sowie wissenschaftliche Texte aus den Feldern Psychatrie und Erziehungsberatung (S. 25–28). Janetts Vorgehen erweist sich als sehr fruchtbar. Ihre Analyse ist weit mehr als die Darstellung zweier kantonaler Fallbeispiele: Sie arbeitet gekonnt und facettenreich größere sozialpolitische Entwicklungslinien heraus und stellt dabei fundierte Bezüge zu theoretischen Konzepten und Forschungsdebatten her. Nach der Einleitung (1.) und zwei Kapiteln mit einführendem Charakter (2. und 3.), in denen unter anderem die gesetzlichen Grundlagen der Fremdplatzierung und die institutionelle Entwicklung der Vormundschaftsbehörden aufgezeigt werden, stehen in den folgenden drei Kapiteln (4. bis 6.) die soeben erwähnten, größeren Entwicklungslinien im Zentrum. Diese Entwicklungslinien betreffen jeweils beide der untersuchten Kantone. Janetts Analyse verdeutlicht, dass sich ungeachtet großer Unterschiede in Aufbau, Größe und gesetzlichen Grundlagen der beiden kantonalen Vormundschaftsbehörden „ähnliche Logiken bei der Fremdplatzierung zeigen" (S. 121). Zu diesen „Logiken" oder Entwicklungslinien zählt, dass in der Nachkriegszeit die Fremdplatzierung insgesamt zurückging, dabei aber die Präferenz für die Platzierung in Heimen und Erziehungsanstalten (gegenüber der Unterbringung in Pflegefamilien) konstant blieb. Janett weist in diesem Zusammenhang auch darauf hin, dass die in der bisherigen Forschung gängige These, die sogenannte Heimkampagne der 1970er-Jahre sei für die Fremdplatzierungspraxis eine Zäsur gewesen, „zumindest abgeschwächt werden sollte" (S. 126): „Die öffentlichkeitswirksame Heimkampagne führte zwar punktuell zu Reformen in den Anstalten, von den Vormundschaftsbehörden wurden diese jedoch gar nicht erst aufgegriffen. Sie beeinflusste ihre Platzierungspraxis nicht." (S. 127) Eine weitere Entwicklungslinie, die Janett herausarbeitet, betrifft die Gewalt. Die Gewalt, mit der Kinder und Jugendliche konfrontiert waren oder die sie selbst ausübten, stellt ein „wesentliches Element in der Geschichte der Fremdplatzierung" dar (S. 167). Janett zeigt die verschiedenen Ausprägungen, Konstellationen und Problematisierungsweisen von Gewalt, die in den Behördenprotokollen zu Tage treten und als Begründung für Fremdplatzierung dienten, anschaulich auf. Gewalt stellte eine Konstante im „Fremdplatzierungsdispositiv" dar und im behördlichen Reden über Gewalt zeigen sich höchstens graduelle Verschiebungen (S. 173). Demgegenüber identifiziert Janett andernorts größere Veränderungen. Eine solche Veränderung ist die „psychologische Wende" (S. 228). Damit ist die Entwicklung angesprochen, dass psychologisches Wissen „ab den 1950er-Jahren medizinische, insbesondere psychopathologische Zuschreibungen" verdrängte (ebd.). Janetts Ausführungen dazu, wie für die Behördenpraxis anstelle von psychiatrischen zunehmend psychologische Wissensbestände und Deutungen wichtig wurden, sind spannend, verdeutlichen aber eine einseitige Bezugnahme. Das angeblich zwischen Behördenpraxis und Wissenschaft existierende „Wechselspiel" (S. 210) in der Wissensgenerierung, von dem Janett ausgeht, kommt dabei nicht wirklich zum Ausdruck. Ein weiterer Kritikpunkt betrifft den Umstand, dass Janett in der Einleitung die Prämisse formuliert, dass sie Fremdplatzierung als „Technik des Sozialstaats" (S. 7) begreife, und dann im Fazit (Kapitel 7) diese Prämisse als Ergebnis der Arbeit präsentiert: „Die Fremdplatzierung war eine ‹Technik› des Sozialstaats" (S. 248), so lautet eine ihrer Thesen, die die Erkenntnisse der Studie zusammenfassen. Es wäre besser gewesen, die „Technik des Sozialstaats" in der Einleitung nicht als Prämisse zu formulieren, sondern als Hypothese, die dann am Ende der Arbeit bestätigt wird. Ungeachtet der soeben skizzierten Kritik legt Janett eine äußerst lesenswerte und sorgsam erarbeitete Studie zur Geschichte der Vormundschaft und Fremdplatzierung in der Schweiz vor. Zu ihren Verdiensten zählt, dass sie am Beispiel von zwei Kantonen die „Logiken" der behördlichen Fremdplatzierungspraxis aufzeigt und diese Praxis mit der Ausdifferenzierung des Schweizer Sozialstaats im 20. Jahrhundert in Beziehung setzt. Anmerkungen: [1] Siehe https://www.placing-children-in-care.ch (27.05.2023). [2] Vgl. z.B. Markus Furrer u.a. (Hrsg.), Fürsorge und Zwang. Fremdplatzierung von Kindern und Jugendlichen in der Schweiz 1850–1980, Basel 2014; Beat Gnädinger / Verena Rothenbühler (Hrsg.), Menschen korrigieren. Fürsorgerische Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen im Kanton Zürich bis 1981, Zürich 2018; Gisela Hauss / Thomas Gabriel / Martin Lengwiler (Hrsg.), Fremdplatziert. Heimerziehung in der Schweiz, 1940–1990, Zürich 2018; Susanne Businger / Nadja Ramsauer, «Genügend goldene Freiheit gehabt». Heimplatzierungen von Kindern und Jugendlichen im Kanton Zürich, 1950–1990, Zürich 2019." 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Es sind dies: «Der Staat, die Fürsorge und das Kind», «Ordnung schaffen: Die Vormundschaftsbehörden», «Die Familie im Fokus», «Fremdplatzierungen begründen» und «Im Visier der Humanwissenschaften». Mirjam Janett orientiert sich bei Ihrer Untersuchung an der «praxeologischen Wende» und widerlegt verschiedene verbreitete Vorstellungen: So wird die Fremdplatzierung als dezidierter Bestandteil der schweizerischen Fürsorge- und Sozialpolitik erfasst und als Regierungstechnologie gedeutet. Damit widerspricht die Autorin einer weithin gängigen Deutung, die die Geschichte des modernen Wohlfahrtsstaats als jene der modernen Sozialversicherung interpretiert. Dieses Narrativ lässt sich insofern hinterfragen, macht doch die Autorin eine «überraschende Persistenz von auf Zwang beruhenden sozialpolitischen Interessen» aus (S. 9). Auch nicht zutreffend ist die verbreitete Vorstellung einer schwachen Staatstätigkeit, wies doch gerade in der gesellschaftspolitisch liberal geprägten Schweiz das Politikfeld der Kinder- und Jugendfürsorge eine hohe Regulierungsdichte auf. Zudem wird deutlich, dass entgegen herkömmlichen Vorstellungen fürsorgerische Aufgaben vom Staat (hier der Kanton und die Kommune) nicht einfach ausgelagert, sondern private und parastaatliche Einrichtungen vielmehr eng eingebunden wurden, was sowohl für Basel als auch Appenzell zutraf. Dabei behielt der Staat in beiden Modellen die Oberaufsicht. Und auch wenn in Basel im Verlauf der Untersuchungsperiode eine Zurückhaltung in der Anstaltsversorgung festzustellen ist, so nahm die Kontrolle der Familien durch Behörden doch leicht zu (S. 146); auch die Massnahmen zur Überwachung Minderjähriger wurden ausgeweitet. 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Janett: Vormundschaft und Fremdplatzierung in der Deutschschweiz, 1945–1980 | infoclio - Rezensionen

M. Janett: Vormundschaft und Fremdplatzierung in der Deutschschweiz, 1945–1980

Cover
Titel
Verwaltete Familien. Vormundschaft und Fremdplatzierung in der Deutschschweiz, 1945–1980


Autor(en)
Janett, Mirjam
Erschienen
Zürich 2022: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
304 S.
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Michèle Hofmann, Institut für Erziehungswissenschaft, Universität Zürich

Schweizer Vormundschaftsbehörden brachten im 20. Jahrhundert Tausende Kinder und Jugendliche – oftmals gegen den Willen der Eltern – in Pflegefamilien oder stationären Einrichtungen unter. Mirjam Janett untersucht im vorliegenden Buch diese behördliche Praxis der Fremdplatzierung am Beispiel der Kantone Basel-Stadt und Appenzell Innerrhoden. Den Untersuchungszeitraum bildet dabei die Phase zwischen 1945 und 1980. Janett identifiziert einleitend die Entwicklung des Vormundschaftswesens in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert als Forschungsdesiderat (S. 11), im Fazit spricht sie davon, dass ihre Studie „[e]rstmals […] die Fremdplatzierungspraxis in der Schweiz nach 1945 in den Blick" nimmt (S. 256). Diese Feststellung ist mittlerweile überholt, gerade auch aufgrund des interdisziplinären und hochschulübergreifenden Sinergia-Projekts des Schweizerischen Nationalfonds Placing Children in Care1, in dessen Rahmen auch Janetts Dissertation, die diesem Buch zugrunde liegt, eingebettet war. Im Kontext dieses Projekts und weiterer Forschungen erschien in den vergangenen Jahren eine größere Anzahl Publikationen zur Geschichte der Fremdplatzierung in der Schweiz, die sich auch auf die zweite Jahrhunderthälfte beziehen.2 Selbst wenn das den Pionieranspruch dieses Buchs schmälert, lohnt sich seine Lektüre.

Janett fokussiert, wie bereits angesprochen, die behördliche Fremdplatzierungspraxis. Sie verortet diese Praxis im größeren Kontext des sich ausdifferenzierenden Schweizer Sozialstaats (S. 7) und versteht ihre Studie als Beitrag zu einer umfassenderen historischen Sozialstaatsforschung (S. 8–10). Ihre Arbeit verfolgt insofern „einen komparatistischen Zugang", als sie „zwei lokale Aushandlungsräume" analysiert und vergleicht: „den protestantischen, städtischen Kanton Basel-Stadt und den katholischen, ländlich gelegenen, voralpinen Kanton Appenzell Innerrhoden" (S. 10f.). Die beiden Kantone „sollen hinsichtlich ihrer Gemeinsamkeiten und Unterschiede in ihrer administrativen Praxis untersucht und im breiteren Kontext der Kinder- und Jugendfürsorge verortet werden" (S. 13). Die Grundlage bilden dabei kantonale Behördenakten, administrative Quellen, Amtsdruckschriften, Fachliteratur zur Kinder- und Jugendfürsorge sowie wissenschaftliche Texte aus den Feldern Psychatrie und Erziehungsberatung (S. 25–28). Janetts Vorgehen erweist sich als sehr fruchtbar. Ihre Analyse ist weit mehr als die Darstellung zweier kantonaler Fallbeispiele: Sie arbeitet gekonnt und facettenreich größere sozialpolitische Entwicklungslinien heraus und stellt dabei fundierte Bezüge zu theoretischen Konzepten und Forschungsdebatten her.

Nach der Einleitung (1.) und zwei Kapiteln mit einführendem Charakter (2. und 3.), in denen unter anderem die gesetzlichen Grundlagen der Fremdplatzierung und die institutionelle Entwicklung der Vormundschaftsbehörden aufgezeigt werden, stehen in den folgenden drei Kapiteln (4. bis 6.) die soeben erwähnten, größeren Entwicklungslinien im Zentrum. Diese Entwicklungslinien betreffen jeweils beide der untersuchten Kantone. Janetts Analyse verdeutlicht, dass sich ungeachtet großer Unterschiede in Aufbau, Größe und gesetzlichen Grundlagen der beiden kantonalen Vormundschaftsbehörden „ähnliche Logiken bei der Fremdplatzierung zeigen" (S. 121). Zu diesen „Logiken" oder Entwicklungslinien zählt, dass in der Nachkriegszeit die Fremdplatzierung insgesamt zurückging, dabei aber die Präferenz für die Platzierung in Heimen und Erziehungsanstalten (gegenüber der Unterbringung in Pflegefamilien) konstant blieb. Janett weist in diesem Zusammenhang auch darauf hin, dass die in der bisherigen Forschung gängige These, die sogenannte Heimkampagne der 1970er-Jahre sei für die Fremdplatzierungspraxis eine Zäsur gewesen, „zumindest abgeschwächt werden sollte" (S. 126): „Die öffentlichkeitswirksame Heimkampagne führte zwar punktuell zu Reformen in den Anstalten, von den Vormundschaftsbehörden wurden diese jedoch gar nicht erst aufgegriffen. Sie beeinflusste ihre Platzierungspraxis nicht." (S. 127)

Eine weitere Entwicklungslinie, die Janett herausarbeitet, betrifft die Gewalt. Die Gewalt, mit der Kinder und Jugendliche konfrontiert waren oder die sie selbst ausübten, stellt ein „wesentliches Element in der Geschichte der Fremdplatzierung" dar (S. 167). Janett zeigt die verschiedenen Ausprägungen, Konstellationen und Problematisierungsweisen von Gewalt, die in den Behördenprotokollen zu Tage treten und als Begründung für Fremdplatzierung dienten, anschaulich auf. Gewalt stellte eine Konstante im „Fremdplatzierungsdispositiv" dar und im behördlichen Reden über Gewalt zeigen sich höchstens graduelle Verschiebungen (S. 173).

Demgegenüber identifiziert Janett andernorts größere Veränderungen. Eine solche Veränderung ist die „psychologische Wende" (S. 228). Damit ist die Entwicklung angesprochen, dass psychologisches Wissen „ab den 1950er-Jahren medizinische, insbesondere psychopathologische Zuschreibungen" verdrängte (ebd.). Janetts Ausführungen dazu, wie für die Behördenpraxis anstelle von psychiatrischen zunehmend psychologische Wissensbestände und Deutungen wichtig wurden, sind spannend, verdeutlichen aber eine einseitige Bezugnahme. Das angeblich zwischen Behördenpraxis und Wissenschaft existierende „Wechselspiel" (S. 210) in der Wissensgenerierung, von dem Janett ausgeht, kommt dabei nicht wirklich zum Ausdruck.

Ein weiterer Kritikpunkt betrifft den Umstand, dass Janett in der Einleitung die Prämisse formuliert, dass sie Fremdplatzierung als „Technik des Sozialstaats" (S. 7) begreife, und dann im Fazit (Kapitel 7) diese Prämisse als Ergebnis der Arbeit präsentiert: „Die Fremdplatzierung war eine ‹Technik› des Sozialstaats" (S. 248), so lautet eine ihrer Thesen, die die Erkenntnisse der Studie zusammenfassen. Es wäre besser gewesen, die „Technik des Sozialstaats" in der Einleitung nicht als Prämisse zu formulieren, sondern als Hypothese, die dann am Ende der Arbeit bestätigt wird.

Ungeachtet der soeben skizzierten Kritik legt Janett eine äußerst lesenswerte und sorgsam erarbeitete Studie zur Geschichte der Vormundschaft und Fremdplatzierung in der Schweiz vor. Zu ihren Verdiensten zählt, dass sie am Beispiel von zwei Kantonen die „Logiken" der behördlichen Fremdplatzierungspraxis aufzeigt und diese Praxis mit der Ausdifferenzierung des Schweizer Sozialstaats im 20. Jahrhundert in Beziehung setzt.

Anmerkungen:
1 Siehe https://www.placing-children-in-care.ch (27.05.2023).
2 Vgl. z.B. Markus Furrer u.a. (Hrsg.), Fürsorge und Zwang. Fremdplatzierung von Kindern und Jugendlichen in der Schweiz 1850–1980, Basel 2014; Beat Gnädinger / Verena Rothenbühler (Hrsg.), Menschen korrigieren. Fürsorgerische Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen im Kanton Zürich bis 1981, Zürich 2018; Gisela Hauss / Thomas Gabriel / Martin Lengwiler (Hrsg.), Fremdplatziert. Heimerziehung in der Schweiz, 1940–1990, Zürich 2018; Susanne Businger / Nadja Ramsauer, «Genügend goldene Freiheit gehabt». Heimplatzierungen von Kindern und Jugendlichen im Kanton Zürich, 1950–1990, Zürich 2019.

Redaktion
Veröffentlicht am
02.06.2023
Beiträger
Redaktionell betreut durch
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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit infoclio.ch (Redaktionelle Betreuung: Eliane Kurmann und Philippe Rogger). http://www.infoclio.ch/
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