C. Schaltegger u.a: Napoleons reiche Beute

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Titel
Napoleons reiche Beute. Eine aktuelle Einordnung zur Bedeutung des gestohlenen Berner Staatsschatzes von 1798


Autor(en)
Schaltegger, Christoph A.; Studer, Thomas M.; Zell, Laura; Salvi, Michel
Erschienen
Bern 2020: Stämpfli Verlag
Anzahl Seiten
96 S.
von
Peter Lehmann

Es war ein Bild des Untergangs, wie es wirkmächtiger nicht hätte inszeniert werden können: Ende März 1798 holten französische Soldaten die drei Bären aus dem Berner Bärengraben und brachten sie als besondere Demütigung der militärisch besiegten Aarestadt nach Paris. In der bildlichen Überlieferung dieses Ereignisses (wie es auf der Seite 48 des hier vorgestellten Buchs abgedruckt ist) erscheint der weitaus wichtigere Teil dieser Aktion nur im Hintergrund: der Abtransport des Barvermögens und der Wertpapiere der Republik Bern.

Genau diesem Aspekt, zu dem bisher erstaunlich wenig geforscht wurde, widmen Schaltegger, Studer, Zell und Salvi ihr Buch. Sie gehen der Frage nach, was der Verlust des Staatsschatzes finanziell für Bern bedeutete, indem sie sich eines Gedankenspiels bedienen: Welchen Wert hätte der Berner Staatsschatz, wenn er 1798 nicht geraubt worden wäre? Damit setzen die Autorin und die Autoren einen anderen thematischen Schwerpunkt bei der Beleuchtung des «Franzoseneinfalls»: Nicht die politischen, sondern die finanziellen Folgen stehen im Vordergrund dieses kleinen, gut lesbaren und reich mit Bildern, Tabellen und Grafiken bestückten Buchs.

Die Grundlagen des Berner Staatsschatzes wurden mit den Säkularisierungen von Kirchengut im Zug der Reformation und durch die Eroberung der Waadt geschaffen. Dadurch, dass die Berner in keinen der europäischen Kriege der frühen Neuzeit hineingezogen wurden, blieben die Staatsausgaben vergleichsweise moderat, sodass die Republik nicht nur auf direkte Steuern verzichten, sondern seit 1709 ihr Vermögen gewinnbringend auf den europäischen Finanzmärkten platzieren konnte.

Demgegenüber war die Finanzlage Frankreichs in derselben Zeit stets prekär und verschlimmerte sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts kontinuierlich. Der Staatsbankrott wurde nicht nur zu einem wichtigen Faktor für den Ausbruch der Französischen Revolution, sondern auch für die Entscheidung der Revolutionsregierungen zur Expansion. Durch die Revolutionierungen der Nachbarstaaten konnte sich Frankreich durch Kontributionen refinanzieren und andererseits die Ausgaben für die Armee teilweise auslagern.

Die Autorin und die Autoren vertreten mit Nachdruck und gut nachvollziehbaren Argumenten die These, dass für Frankreich die finanziellen Zwänge wesentlich waren für den Entscheid zur Eroberung der Eidgenossenschaft, ein spannender Aspekt, der bisher in der Darstellung dieses Ereignisses nur wenig beleuchtet wurde. Insbesondere der sagenumwobene Berner Staatsschatz weckte Begehrlichkeiten. Umso erstaunlicher erscheint es, dass die Berner Regierung erst am 2. März, drei Tage vor der Niederlage im Grauholz, Gottlieb Abraham Jenner den Auftrag gab, Teile des Edelmetallschatzes und die Wertpapiere in Sicherheit zu bringen, zu spät, wie sich bald zeigte. Der Barschatz wurde bereits wenige Wochen darauf nach Frankreich geschafft. Um die Wertpapiere, die sogenannten englischen Gelder, entbrannte ein jahrelanger Streit zwischen den Bernern, der französischen und der helvetischen Regierung, den das Autorenteam minutiös nachzeichnet. Erst der Wiener Kongress zog einen Schlussstrich unter diese Auseinandersetzung. Nach dessen Entscheidung blieben den Bernern von ihrem einstigen Staatsschatz noch ungefähr 3,8 Millionen livres tournois. Dem stand ein Verlust von etwa 18,88 Millionen livres tournois gegenüber. Ganz genau lässt sich der Verlust nicht beziffern, da die Höhe des Barschatzes im Bern des Ancien Régime nicht bestimmt werden durfte.

Abschliessend versuchen die Autoren, den heutigen Wert des geraubten Staatsschatzes zu beziffern. Sie gehen dabei von der kontrafaktischen Annahme aus, dass der Staatsschatz nicht verloren gegangen, sondern weitere 220 Jahre im bernischen Besitz geblieben wäre. Der Historiker hat bisweilen zwar Mühe mit der Frage «Was wäre wenn?». Immerhin ist es äusserst fraglich, ob der liberale Staat Bern – so es ihn denn ohne Napoleons Zutun in dieser Form gegeben hätte – nicht versucht gewesen wäre, die vorhandenen reichlichen Geldmittel anzugreifen. Allerdings erlauben es die von den Autoren gemachten Berechnungen auch dem Laien, abzuschätzen, welch enormen finanziellen Einbruch Bern mit dem Verlust des überwiegenden Teils seines Staatsschatzes erlitten hat.

Dieses Gedankenspiel ist ein durchaus spannender Aspekt des kurzweiligen Buchs. Das Resultat, dass bei einer Fortführung der altbernischen Anlagepolitik der geraubte Schatz heute einen Wert von über 600 Milliarden Franken haben könnte, dürfte allerdings beim einen oder anderen Leser für ein wehmütiges Schlucken sorgen.

Zitierweise:
Peter Lehmann: Rezension zu: Schaltegger, Christoph A.; Studer, Thomas M.; Zell, Laura; Salvi, Michele: Napoleons reiche Beute. Eine aktuelle Einordnung zur Bedeutung des gestohlenen Berner Staatsschatzes von 1798. Bern: Stämpfli 2020. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 82 Nr. 4, 2020, S. 67-69.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 82 Nr. 4, 2020, S. 67-69.

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