S. Gasser (Hrsg.) in Zusammenarbeit mit Adeline Favre: Eine vergessene Zeit

Cover
Titel
Eine vergessene Zeit. Freiburg im 14. Jahrhundert


Herausgeber
Gasser, Stephan
Erschienen
Paris 2019: In Fine éditions d’arts
Anzahl Seiten
236 S.
von
Gutscher-Schmid Charlotte

Bezeichnenderweise wird die Publikation nur im Impressum als Katalog zur Ausstellung bezeichnet, die vom 8. November 2019 bis am 23. Februar 2020 im Museum für Kunst und Geschichte Freiburg (MAHF) stattgefunden hat und möglicherweise aufgrund der kurzen Laufzeit vielen Bernern unbekannt geblieben ist. All jenen, welche die Ausstellung verpasst haben, sei die Publikation dazu sehr empfohlen. Sie ist nämlich in keinerlei Hinsicht an eine Präsentation von Objekten gebunden, sondern erzählt auf eigenständige Weise von einer «vergessenen Zeit» der Freiburger Geschichte. Warum dies so ist, erläutert Verena Villiger Steinauer gleich im Vorwort: Die Freiburger Geschichtsschreibung hat sich lange Zeit vor allem auf das 16. Jahrhundert gestützt, als sich die Stadt über die Ablehnung der Reformation und die Herausbildung einer patrizischen Oligarchie definierte. Das 15. Jahrhundert wurde als Auftakt dazu gesehen: geprägt durch den wirtschaftlichen Aufschwung der Tuchindustrie und die politischen Erfolge in den Burgunderkriegen – das 14. Jahrhundert ging vergessen.

Wie ungerechtfertigt dies war, zeigt schon ein erstes Durchblättern dieser hervorragend gestalteten Publikation: Allein die Objekte und Ausschnitte, die als Eingangsbilder zu den verschiedenen Kapiteln dienen, erzählen von einer Kultur, die qualitativ unbestreitbar zum damals Besten gehörte.

Eine vertiefte Beschäftigung macht deutlich, dass in vielen Bereichen nicht von einer freiburgischen Kunst des 14. Jahrhunderts gesprochen werden kann, sondern dass sie Teil einer hochstehenden spätmittelalterlichen Kultur war, die ebenso die weltlichen Aufgaben der stark wachsenden Stadt wie auch die untrennbar damit verbundenen religiösen Bereiche umfasste.

Die im Buch behandelten Themen werden in Entsprechung zur hilfreichen Einführung des Ausstellungsverantwortlichen und Herausgebers Stephan Gasser in sechs Kapitel gegliedert: historische Grundlagen, Literatur, Architektur, Malerei, Skulptur und angewandte Kunst. Dabei folgt den erwähnten stupenden Ausschnitten als Eingangsbildern jeweils ein allgemeiner Text, an den sich Katalogbeispiele aus dem besprochenen Bereich anschliessen.

Gleich der Einstieg mit den, wie man vermuten könnte, schwer lesbaren geschichtlichen Grundlagen beweist, wie unterhaltsam Geschichte auch erzählt werden kann. Kathrin Utz Tremp präsentiert die komplizierten Ereignisse – ergänzt durch thematische Schlaglichter von Ernst Tremp – in lehrreichem, aber doch angenehm leichtem Stil.

Ohne diese geschichtlichen Grundlagen wären die späteren Beiträge nicht verständlich: Im Unterschied zur bereits beim Aussterben der Stadtgründer 1218 reichsfreien Stadt Bern erlangte die «zähringische Schwesterstadt» diesen Status erst 1478. Sie blieb im «langen 14. Jahrhundert» unter habsburgischer Stadtherrschaft. Für die Interessen der Habsburger lag aber Freiburg zu weit im Westen. Die politischen Vor- und – vielleicht doch überwiegenden – Nachteile dieser Herrschaft kommen ebenso zur Sprache wie die wirtschaftliche Entwicklung: der Erfolg der Freiburger Leder- und Tuchproduktion.

Die folgenden Kapitel dokumentieren die ausnahmslos hochstehende Qualität der erhaltenen Werke aus allen Bereichen. Die Orte der künstlerischen Herkunft wiederholen sich: es sind die zisterziensischen Niederlassungen in Hauterive und der Maigrauge, die Kollegiatskirche in Romont, die Augustinerkirche sowie die Pfarrkirche St. Nikolaus in der Stadt.

Doch auch die weltliche Kunst in Freiburg nahm im 14. Jahrhundert einen Aufschwung, der sich etwa in teuren Steinbauten, deren Fassadenverzierung mit Blendmasswerk oder reicher Innenausstattung zeigt. Das charakteristische Masswerk erweist sich in seiner hervorragenden Qualität als freiburgische Besonderheit: Zeugnis einer Steinmetztradition, die gleichermassen in kirchlichem wie profanem Auftrag entstand.

Das Kapitel Malerei vereint künstlerische Höhepunkte aus verschiedenen Gattungen: etwa die weltberühmten Glasmalereien der Kollegiatkirche von Romont und des Zisterzienserklosters Hauterive (Stefan Trümpler), Wandmalereien in leider schlechtem Zustand, aber hoher Qualität an denselben Orten, in der Maigrauge oder im Augustinerkloster Freiburg (Verena Villiger Steinauer). Aber auch Privathäuser zierten anspruchsvolle Zyklen, etwa Monatsarbeiten, die sich einst an der Reichengasse 31 in Freiburg befanden (Stefan Matter).

Aus dem reichen Schatz liturgischer Handschriften ging viel verloren, das Erhaltene steht jedoch für die hohe Bedeutung der Buchmalerei (Adeline Favre und Susan Marti).

Das letzte grosse Kapitel – präsentiert von Stephan Gasser – gilt der Skulptur. Zwei Erkenntnisse stehen dabei im Vordergrund: Dem Bauboom in der ersten Hälfte des Jahrhunderts entsprechend, entstand auch damals der Hauptteil der bildhauerischen Werke. Der durchwegs unterschiedliche Stil deutet aber darauf hin, dass es im 14. Jahrhundert wohl keine feste Werkstatt in der Stadt gab, aber wandernde Steinbildhauer auf den verschiedenen Baustellen tätig waren. Ihr Tun über Freiburg hinaus zu verfolgen, ist eine aufwendige und zuweilen hoffnungslose Mühe.

Den Schlusspunkt dieses Kapitels bildet nochmals ein weltberühmter Höhepunkt der Freiburger Kunst: das Ostergrab aus der Mitte des 14. Jahrhunderts aus dem Zisterzienserinnenkloster in der Maigrauge. Das einzigartige Werk, das die ganze Passionsund Osterliturgie zusammenfasst, kann man – ausgerüstet mit den neuen Informationen aus der Publikation – jederzeit im Freiburger Museum (wieder-)ansehen, was an dieser Stelle jedem Leser geraten sei.

Es ist zu hoffen, dass das schöne und erschwingliche Buch, das auf so vorbildliche Weise wissenschaftliche Forschung mit für ein breites Publikum angelegter guter Lesbarkeit verbindet, dazu beiträgt, das 14. Jahrhundert in Freiburg und andernorts aus der unverdienten Vergessenheit zu holen.

Zitierweise:
Charlotte Gutscher-Schmid: Rezension zu: Gasser, Stephan (Hrsg.) in Zusammenarbeit mit Adeline Favre: Eine vergessene Zeit. Freiburg im 14. Jahrhundert. Paris: In Fine éditions d’arts und Freiburg: Museum für Kunst und Geschichte Freiburg 2019. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 82 Nr. 4, 2020, S. 54-56.

Redaktion
Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 82 Nr. 4, 2020, S. 54-56.

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